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Christian Lindners Aussagen in diesem Video wurden manipuliert

Christian Lindners Aussagen in diesem Video wurden manipuliert - Featured image

Author(s): Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland

Auf Facebook teilten Zehntausende User einen Ausschnitt aus einer Pressekonferenz zur Energieversorgung in Deutschland mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Darin soll Lindner angeblich gesagt haben, die Regierung akzeptiere es, vieles zu zerstören, was Menschen in Deutschland sich über Jahrzehnte aufgebaut hätten. Das Video ist allerdings aus dem Kontext gerissen und zusätzlich sinnverändernd geschnitten. Lindner hat über die Folgen eines Energiekrieges gesprochen, den die Regierung nicht akzeptieren wolle.

Zehntausende haben das manipulierte Video als Reel auf Facebook Mitte Oktober 2022 geteilt.

Die Behauptung: User teilen das Video, in dem Christian Lindner angeblich sagt: “Wir können das akzeptieren, vieles von dem zu zerstören, was die Menschen sich persönlich über Jahrzehnte aufgebaut haben, was über Jahrzehnte an Strukturen in Mittelstand, Handwerk und Industrie aufgebaut worden ist.” Dazu ist “Unglaublich mir fehlen die Worte” eingeblendet.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 18.11.2022

Bei einem genauen Blick in das auf Facebook geteilte Video zeigt sich, dass das Gesprochene von Christian Lindner zwar natürlich wirkt, das Video aber im Bild nach den Worten “wir können es akzeptieren” geschnitten ist. Zu erkennen ist die Manipulation an einem Bildsprung.

AFP sind solche Videos auch in anderen Kontexten bereits mehrfach aufgefallen. Durch sinnverändernde Schnitte oder Ausschnitte, die aus dem Kontext gerissen werden, sollen Botschaften anders verstanden werden, als sie gemeint sind. Opfer solcher Desinformationsstrategien sind oft Politikerinnen und Politiker, die bei ihren Reden rhetorisch eine andere Perspektive einnehmen wie etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Weltwirtschaftsforum 2022 oder die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einem Empfang im Auswärtigen Amt im September 2022.

Konferenzprotokoll widerlegt Behauptung

Da bei solchen Perspektivenwechsel falsch dargestellte Satzteile oft tatsächlich gesagt wurden, führt eine Websuche nach dem angeblich Gesagten oft zu den originalen Aussagen. So auch der von Lindner angeblich gesagte Satz: Auf der Internetseite der Bundesregierung ist das Protokoll einer Pressekonferenz von Scholz, Habeck und Lindner zu aktuellen Fragen der Energieversorgung in Deutschland am 29. September 2022 veröffentlicht. Darin steht der Wortlaut des Gesagten.

Im Vergleich zum auf Facebook geteilten Video wird klar, dass Christian Lindner das Gegenteil von dem sagt, was in dem Video behauptet wird. Er sagte bei der Pressekonferenz:

“Dieser Energiekrieg hat zum Ziel, vieles von dem zu zerstören, was die Menschen sich persönlich über Jahrzehnte aufgebaut haben, was über Jahrzehnte an Strukturen in Mittelstand, Handwerk und Industrie aufgebaut worden ist.” Erst danach – nicht wie im manipulierten Video davor – sagte er: “Wir können das nicht akzeptieren und werden uns zur Wehr setzen.” Das Wort “nicht” wurde in dem Facebook-Reel weggeschnitten.

AFP hat auch beim Finanzministerium nach der Aussage aus dem auf Facebook geteilten Video gefragt. Am 18. November 2022 hieß es aus dem Ministerium: “Wir weisen diese Darstellung zurück. Das Video entstellt die Aussagen des Bundesfinanzministers. Im Gegenteil: Der Bundesfinanzminister hat am 29. September 2022 im Rahmen einer öffentlichen Pressekonferenz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht akzeptieren können, dass der russische Energiekrieg das zerstört, was Menschen sich persönlich über Jahrzehnte aufgebaut haben.”

Aussage auch anderweitig formuliert

Christian Lindner formulierte nach der Pressekonferenz erneut seine Sorge, der Energiekrieg könne die Strukturen im Mittelstand und Handwerk zerstören. So etwa am Rande einer Ministerpräsidentenkonferenz in Hannover am 21. Oktober 2022 und auch auf Twitter:

 

Teure Energiekrise

Wegen der Invasion russischer Streitkräfte in der Ukraine am 24. Februar 2022 verhängten zahlreiche Nationen Sanktionen gegen Russland. So hat etwa die Europäische Union neben der Unterstützung des ukrainischen Militärs auch Wirtschaftssanktionen und Visamaßnahmen gegen Russland und bestimmte russische Staatsbürgerinnen und -bürger beschlossen.

Europa bezog vor dem Krieg viel Gas aus Russland. 2020 machte russisches Gas mehr als die Hälfte der gesamten deutschen Gasimporte aus. Während Deutschland Öl- und Kohleembargos gegen Russland beschloss, bezog es aber vorerst weiter russisches Gas. Russlands Gaslieferungen nach Europa wurden immer wieder unterbrochen, unter anderem wegen einer Reparatur einer Gasturbine und Sabotage an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2. Das hat gestiegene Energiekosten in Europa zur Folge, was in Deutschland eine Energiekrise auslöste. Die gestoppten Gaslieferungen empfanden einige deutsche Politikerinnen und Politiker als beabsichtigte Erpressung und als Energiekrieg.

Die deutsche Regierung hat mehrere Maßnahmen wie etwa Steuererlasse beschlossen, um die gestiegenen Gaspreise abzufedern. Der auf Facebook geteilte Ausschnitt stammt beispielsweise aus einer Pressekonferenz, in der die Bundesregierung einen 200 Milliarden schweren sogenannten Abwehrschirm verkündet hatte, mit dem die Energiekosten für Haushalte und kleine Unternehmen gesenkt werden sollen. Eine angekündigte Gas- und Strompreisbremse soll allerdings erst im März 2023 umgesetzt werden und dann rückwirkend ab Januar 2023 ausgezahlt werden. Die gewählten Zeitpunkte für die Maßnahmen wurden als zu langsam kritisiert.

Fazit: Das in sozialen Netzwerken geteilte Lindner-Video wurde manipuliert und aus dem Kontext gerissen. Er hat nicht gesagt, dass die Regierung akzeptiere, vieles zu zerstören, was Menschen sich über Jahrzehnte aufgebaut hätten – er sagte in der originalen Pressekonferenz das Gegenteil.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.