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Doch, dieser BBC-Reporter befand sich in der Ukraine in einer gefährlichen Lage

Doch, dieser BBC-Reporter befand sich in der Ukraine in einer gefährlichen Lage - Featured image

Author(s): Saladin SALEM, Rossen BOSSEV, AFP Bulgarien

Im März 2022 berichtete der BBC-Journalist Jeremy Bowen aus der ukrainischen Stadt Irpin, während sich Menschen vor Ort auf der Flucht vor russischem Beschuss befanden. Im Netz heißt es zu einem Screenshot seines Fernsehberichts, der Bowen am Boden zeigt, die Situation sei übertrieben dargestellt oder gar eine Täuschung. Eine Frau im Hintergrund verstehe scheinbar die Reaktion des Journalisten nicht. Zahlreiche Medien und Human Rights Watch dokumentierten jedoch den Beschuss zum Zeitpunkt der Aufnahme. Der komplette Fernsehbericht zeigt zudem, wie sich auch die Frau im Hintergrund in Schutzhaltung begibt. 

Tausende haben den Screenshot des BBC-Journalisten auf Facebook (hier, hier, hier, hier) geteilt. Auch auf Twitter verbreiteten sich die Behauptungen zu dem Bild, Hunderttausende sahen diese auf Telegram.

Die Behauptung: “Ein BBC-Reporter berichtet heldenhaft ‘aus dem Schützengraben’, während eine fassungslose Frau aus einem nahe gelegenen ‘Graben’ nicht versteht, was da vor sich geht”, heißt es zum Screenshot des BBC-Journalisten auf Facebook. In einigen Beiträgen wird gar von einer Täuschung gesprochen. Einige User scherzen, die Frau komme vom Markt, während der Reporter sich vor Beschuss schütze. Andere sprechen von einer “schauspielerischen Darbietung”.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11.10.2022

Die online geteilten Beiträge nutzen eine Collage an Screenshots, die den Journalisten mit Mikrofon, Helm und schutzsicherer Weste zeigen, auf der die Aufschrift “Press” zu erkennen ist. Er schaut in Richtung Kamera, während er seitlich auf dem Boden liegt. Im Hintergrund beobachtet eine Frau die Situation, während sie zwei Taschen in ihren Händen hält.

Die Bilder stammen aus einem Bericht des britischen Fernsehsenders BBC und entstanden nur einige Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022. Im Zuge der russischen Invasion werden online immer wieder Behauptungen verbreitet, wonach westliche Medien die Geschehnisse in der Ukraine nur inszenieren würden (hier, hier, hier). AFP sammelt Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine hier.

Bericht entstand während russischem Beschuss in Irpin

Eine Bildrückwärtssuche der online geteilten Screenshots führte AFP zu einem Artikel von Jeremy Bowen in der britischen Tageszeitung “The Times” vom 20. März 2022. Es zeigt das gleiche Foto mit der Bildunterschrift: “Jeremy Bowen geht in Irpin in Deckung, als die Stadt angegriffen wird.”

Jeremy Bowen ist internationaler Journalist bei BBC News. Zuvor war er für den britischen Sender im Nahen Osten tätig und verfügt über umfangreiche Erfahrungen als Kriegsreporter.

Im Artikel der “Times” beschreibt Bowen seine Erfahrungen während der Berichterstattung aus der Ukraine, speziell aus der Stadt Irpin, etwa 25 Kilometer nordwestlich von Kiew. Zu dem Bild aus Irpin erklärt Bowen: “Granaten, die zu nah einschlagen, um sie zu ignorieren, machen ein paar Sekunden lang ein zischendes Geräusch, bevor sie explodieren. Es liegt in der menschlichen Natur, zu versuchen, aus dem Weg zu gehen, und die einzige Möglichkeit, das schnell zu tun, ist, sich auf den Boden zu legen.” Deshalb habe Bowen aus dem Liegen berichtet, während von beiden Seiten aufeinander gefeuert wurde.

Eine Stichwortsuche nach dem Clip führt zu einem am 6. März 2022 veröffentlichten Video auf dem Youtube-Kanal der BBC mit dem Titel “Grausame Szenen im Kampf um Kiew: Familien auf der Flucht vor dem russischen Angriff getötet – BBC News”.

Im Abschnitt ab 1:59 Minuten ist auch die Szene mit Bowen und der Frau im Hintergrund zu sehen. Bowen erläutert darin: “Es gibt eine Menge Beschuss, Artilleriefeuer, das auf uns zukommt. Es sind viele Zivilisten in der Nähe.” Die Szene zeige den Rand der Stadt, an den die russischen Streitkräfte gelangt seien.

In dem Ausschnitt ist auch zu erkennen, dass die Frau im Hintergrund sich ebenfalls duckt, bevor sie sich kurz darauf weiter bewegt. Im Hintergrund ist starker Beschuss zu hören.

Screenshot des BBC-Berichts auf Youtube: 07.10.2022

Bowen beschreibt die Online-Vorwürfe als böswillig

Auf AFP-Anfrage bestätigte Jeremy Bowen am 6. Oktober 2022, er habe Kenntnis von den Behauptungen in sozialen Netzwerken, wonach die Szene gestellt sei, während die Frau im Hintergrund angeblich nur ihre Einkäufe transportierte. “Diese Behauptung ist ein bösartiges Hirngespinst”, schrieb Bowen in einer E-Mail an AFP.

“Ich habe seit 1989 mehr als 20 Kriege verfolgt und war viele Male unter Beschuss. Ich würde sagen, dass dieses Brückengebiet unter schwerem Beschuss stand. Wie ich in meinem Beitrag erklärt habe, war es nicht sicher, ob sie auch auf Zivilisten zielten (obwohl das das Ergebnis war), da aktive ukrainische Geschützstellungen einige hundert Meter entfernt im Wald lagen”, erklärte Bowen.

Die Aufnahme entstand nahe einer stadtauswärts zerstörten Brücke, die auch im Beitrag zu sehen ist. “Über die Situation an der Brücke wurde vielfach berichtet, wahrscheinlich von jedem Journalisten in Kiew, auch wenn nicht jeder zur Brücke ging”, erklärte Bowen.

Menschen überqueren am 5. März 2022 eine zerstörte Brücke in Irpin während die Stadt wegen schwerem Beschuss evakuiert wird.

“Die Wahrheit ist, dass ich mich auf dem Abhang zur Brücke befand, die zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich 50 oder 100 Meter entfernt war. Die Leute, die rüberkamen, bewegten sich langsam, waren müde und traumatisiert”, erläuterte Bowen gegenüber AFP. “Wir kamen an der Brücke an, als der Beschuss kurz nachließ. Als wir dort waren, begann der Beschuss erneut und verstärkte sich.”

Bowen dementierte die Behauptungen rund um den Bericht ebenfalls auf Twitter:

 

Irpin wurde Anfang März 2022 in heftige Kämpfe verwickelt

Als die russische Armee am 24. Februar 2022 in die Ukraine einfiel, versuchten die russischen Streitkräfte, die ukrainische Hauptstadt Kiew einzukreisen. Anfang März 2022 begann die Bevölkerung der Stadt Irpin die Flucht über die zerstörte Brücke in Richtung Kiew. Dieser AFP-Bericht zeigt Aufnahmen der Evakuierung vom 5. März 2022:

Die Brücke, an der die Aufnahmen entstanden, liegt am gleichnamigen Fluss Irpin zwischen Irpin und dem Dorf Romaniwka:

Zur Überprüfung des Aufnahmeorts verglich AFP das Foto aus den Online-Beiträgen mit eigenem Bildmaterial. Das hier verwendete AFP-Foto zeigt laut Beschreibung Menschen bei der Überquerung der zerstörten Brücke während der Evakuierung von Irpin am 6. März 2022. Übereinstimmende Elemente sind im folgenden Bild rot markiert – die zerstörte Brücke und eine rote Werbetafel:

Vergleich des BBC-Fotos mit Jeremy Bowen (links) und des AFP-Fotos von Daphne Rousseau vom 6. März 2022 (rechts)

Während der Flucht aus Irpin starben am 6. März 2022 acht Menschen durch russischen Beschuss.

“Für mehrere Stunden bombardierten russische Streitkräfte am 6. März 2022 eine Kreuzung, die von hunderten Zivilisten für die Flucht vor der voranschreitenden russischen Armee im nördlichen Kiew genutzt wurde”, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) am 8. März 2022.

Screenshot einer Karte von Human Rights Watch vom 6. März 2022

Vor und während des Angriffs hätten Zeugen einen stetigen Strom von Zivilisten beschrieben, die auf den Trümmern der zerstörten Brücke liefen, um den Fluss Irpin zu überqueren. “Die Menschen versammelten sich dann an der Kreuzung, um in Busse oder Autos einzusteigen, die ins Zentrum von Kiew fuhren oder gingen weiter”, schrieb HRW.

Die Situation in Irpin wurde zudem am 7. März 2022 bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates verurteilt. Auch Satellitenbilder der Brücke zeigen die Zerstörung des Gebiets rund um die Brücke.

Fazit: Nein, der BBC-Bericht von Jeremy Bowen aus Irpin war nicht gestellt. Die Bewohner der Stadt flohen zu dem Zeitpunkt vor russischem Beschuss, der auch im Originalvideo zu hören ist. Eine Frau, die im Hintergrund des Beitrags zu sehen ist, duckt sich ebenfalls kurz. Dieser Ausschnitt wurde in den online geteilten Beiträgen nicht verwendet.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.