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Bromelia weist den Weg: Zahl ist alt, Behauptung falsch

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Author(s): dpa

«Es sieht aus wie im Krieg», sagt ein deutscher Prediger in einem Video, das in Belgien und den Niederlanden eifrig geteilt wird. Er verweist dabei auf viele frische Holzkreuze, die er nach seinen Worten in den vergangenen Jahren auf dem Friedhof von Riedlingen gesehen hat.

Deutschland kämpft dem Prediger zufolge mit einer Übersterblichkeit von 37 Prozent. In dem kurzen Clip sagt er nichts über die Ursachen dieser angeblichen Übersterblichkeit. Das Video endet allerdings mit dem Bild einer alten Frau, die einen Mundschutz trägt und eine Spritze bekommt. Auch manche Facebook-Beiträge suggerieren mit Emojis von Spritzen und Särgen, dass Injektionen mit den angeblich gestiegenen Todeszahlen zu tun haben.

Beurteilung

Deutschland kämpft derzeit nicht mit einer Übersterblichkeit von 37 Prozent. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Juni deuten auf eine Übersterblichkeit von einem Prozent hin. Die Predigt ist schon anderthalb Jahre alt. Wenn es damals eine Übersterblichkeit gab, stand die – anders als von dem Video angedeutet – nicht im Zusammenhang mit den Impfkampagnen.

Fakten

Die Facebookposts von Ende Juli 2024 behaupten, dass Deutschland mit einer Übersterblichkeit von 37 Prozent kämpft. Von Übersterblichkeit spricht man, wenn in einem bestimmten Zeitraum mehr Menschen sterben als aufgrund von Daten aus den Vorjahren erwartet werden kann. In Belgien etwa stieg die Zahl der Todesfälle im Jahr 2020 deutlich an, als die Corona-Pandemie begann und noch keine Impfstoffe zur Verfügung standen.

Doch ist das Video mit der Predigt überhaupt aktuell? Oder bezieht sich der Sprecher auf einen früheren Zeitraum? Um das festzustellen, muss zunächst die Herkunft der Aussagen geklärt werden.

In dem Facebookpost wird der Mann Jakob Tscharntke genannt. Der Prediger spricht in dem Video über den Friedhof von Riedlingen. Eine Google-Suche mit dem Namen und Ort führt zur Website der Kirche, wo der Prediger seit Jahren tätig ist: die Evangelische Freikirche Riedlingen. Die Website nennt Tscharntke auch im Sommer 2024 als Ansprechpartner in «seelsorgerlichen Fragen» und enthält Videos seiner jüngsten Predigten.

Predigt vom Februar 2023

Wer auf die Predigten klickt, wird auf die Videoplattform Odysee weitergeleitet, wo auch ältere Ansprachen von Tscharntke zu finden sind. Die EFK Riedlingen hat eine eigene Seite auf der Plattform, wo sie Predigten hochlädt.

Zwischen all diesen Predigten ist es nicht einfach, die richtige zu finden. In dem Video des Facebookposts steht Tscharntke mit einer orangefarbenen Krawatte auf der Kanzel, neben der eine orange Bromelia in einem gelben Topf steht. Wenn man auf Odysee zurückscrollt, trifft man auf diese Kombination in Videos von vor mehr als einem Jahr.

Bromelien halten sich lange. Tscharntke hat von Januar bis März 2023 wöchentlich neben derselben Pflanze gepredigt, was zwölf Videos ergibt. Weil er immer die gleiche, farblich zur Pflanze passende Krawatte trug, sehen sich alle Videos zum Verwechseln ähnlich. Die einzige kleine Veränderung ergibt sich beim Stand der Bromeliablätter. Aus diesem Detail ergibt sich, dass Tscharntke seine Aussagen zur Übersterblichkeit in dieser Predigt vom 26. Februar 2023 gemacht haben muss.

Seelenheil und Impfung

Tatsächlich spricht Tscharntke ab Minute 28:30 über die «C-Spritze». Er erklärt, das jemand nach einer Impfung nicht unwiderruflich sein Seelenheil verloren hat. Dennoch ruft er seine Glaubensgenossen auf, nicht blind zu sein gegenüber dem, was er als Impfgefahren betrachtet.

Ab Minute 28:55 kommt dann jener Teil der Predigt, der im Sommer 2024 auf Facebook geteilt wird. Tscharntke behauptet, noch am gleichen Morgen gelesen zu haben, dass Deutschland mit einer Übersterblichkeit von 37 Prozent kämpft, und er insinuiert, dass daran die Impfung schuld sei.

Zahlen sind überholt

Der Prozentsatz, den Tscharntke nennt, stammt wahrscheinlich aus Zahlen von Eurostat über die Zahl der Todesfälle in Deutschland im Dezember 2022. Da diese Zahl mit den Dezembermonaten 2016 bis 2019 verglichen wurde, ergab sich ein Plus von 37 Prozent.

Der Facebookpost erweckt jedoch den Eindruck, dass Tscharntke über aktuelle Zahlen spricht. Das stimmt nicht. Die aktuellsten Zahlen, die Eurostat nennt, stammen vom Mai 2024 und zeigen eine Übersterblichkeit von 6,6 Prozent in Deutschland. Das deutsche Statistische Bundesamt hat aktuellere Zahlen: Demnach lag die Übersterblichkeit im Juni 2024 bei 1 Prozent.

Zum Zeitpunkt der Predigt im Februar 2023 betrug die Übersterblichkeit von 2 Prozent, berechnet vom Bundesamt auf Grundlage des Februar-Mittelwerts der Jahre 2019 bis 2022. Diese Zahl konnte Tscharntke zum Zeitpunkt seiner Predigt am 26. Februar noch nicht kennen, wohl aber die für Januar 2023. Die Januar-Zahl lag laut Statistischem Bundesamt bei 13 Prozent, also deutlich unter der von Eurostat errechneten älteren Dezember-Zahl.

Ursachen der Übersterblichkeit

Nach der Coronapandemie starben in vielen Ländern mehr Menschen, als auf Grundlage der Mittelwerte aus den Jahren vor der Pandemie erwartet werden konnte.

Die Ursachen der Übersterblichkeit sind nicht eindeutig und unterscheiden sich von Land zu Land. Allerdings erscheint klar, dass die Übersterblichkeit nicht von Impfstoffen verursacht wird. So ergab beispielsweise eine Untersuchung der niederländischen Gesundheitsbehörde RIVM, dass Menschen mit einer Boosterimpfung in den Jahren 2021 und 2022 ein geringeres Risiko hatten, an Covid-19 und anderen Erkrankungen zu sterben, als Menschen, die nicht geboostert waren.

Der größte Teil der Übersterblichkeit in Europa lässt sich mit den Nachwehen der Coronapandemie erklären. So ist bekannt, dass Menschen auch noch Monate nach einer Coronainfektion ein höheres Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen haben. Auch die Belastung des Gesundheitssystems während der Pandemie wird oft als Grund für die andauernde Übersterblichkeit genannt, denn damals wurden viele Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen verschoben.

(Stand: 12.8.2024)

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Ursprünglich hier veröffentlicht.