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Die ägyptischen Pyramiden sind eine unerschöpfliche Quelle für Verschwörungserzählungen

Die ägyptischen Pyramiden sind eine unerschöpfliche Quelle für Verschwörungserzählungen - Featured image

Author(s): AFP Frankreich / AFP Deutschland

Seit Jahrzehnten liefern die ägyptischen Pyramiden Stoff für verschiedenste Verschwörungserzählungen: Außerirdische hätten sie angeblich aufgebaut oder sie hätten in der Antike als Stromquelle gedient. Historikerinnen und Historiker widerlegen und klären diese Behauptungen systematisch auf, dennoch kehren sie regelmäßig zurück. So auch Ende März 2023 in Frankreich durch das Video eines Rappers. Diese verschiedenen Erzählungen können den Einstieg in weitere Verschwörungserzählungen darstellen. Ein Überblick.

Das Video, das am 22. März 2023 auf Youtube hochgeladen wurde, verzeichnete seitdem mehr als 570.000 Aufrufe. Der französischsprachige, kongolesische Rapper Gîms griff in einem über anderthalb Stunden langen Interview auf dem Kanal “Oui Hustle” eine alte Verschwörungserzählung auf: Diese behauptet, dass die Ägypterinnen und Ägypter in der Antike dank der Pyramiden angeblich über ein Elektrizitätssystem verfügt hätten.

Drei Wochen später, am 13. April 2023 veröffentlichte der Sänger seinen jüngsten Song “Hernán Cortés” auf seinem Yotubekanal, benannt nach dem spanischen Eroberer aus dem 16. Jahrhundert. Das Coverbild der Single zeigt Pyramiden mit vergoldeter Spitze, daneben ein Strommast, Kabel und Schaltschränke.

“Zur Zeit des Kusch-Reiches gab es Elektrizität. (…) Die Pyramiden, die man hier sieht, haben eine goldene Spitze. Gold ist der beste elektrische Leiter. Das waren verdammte Antennen! Die Menschen hatten Strom. Das verstehen die Leute nicht. Die Ägypter – die Wissenschaft, die sie hatten, das übersteigt unsere Vorstellungskraft, und die Historiker wissen das!”, behauptet der Sänger. Ihm folgen drei Millionen Menschen auf Instagram, auf Youtube und Facebook rund 11 Millionen.

Die – unbegründete – Behauptung, Ägypten habe schon lange vor ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert Elektrizität gehabt, ist nicht neu. Im September 2018 war die Behauptung bereits in einem mehr als 2,5 Millionen Mal angesehenen Video mit dem Titel “Das wahre Geheimnis der Pyramiden wurde endlich gelüftet” aufgetaucht, in dem die Erzählung der “Kraftwerke” verbreitet wurde.

Der Urheber des Videos führte unter anderem als Beweis bestimmte Reliefs in einem Tempel in Dendera, einer Stadt am Ufer des Nils, an. Darin sind seiner Ansicht nach angeblich Figuren zu sehen, “die etwas halten, das wie eine riesige Glühbirne aussieht, in der sich ein verdrillter Draht befindet, der ein Kabel hinunterläuft und sich mit einem Objekt befindet, das ein Empfänger sein könnte”.

Screenshot eines YouTube-Videos, erstellt am 13. April 2023

Das Video enthält keinerlei Quellenangaben, die diese Behauptungen stützen würden. Es könnte jedoch von einer Studie inspiriert sein, die ein Monat zuvor von einem Team unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der ITMO-Universität in Sankt Petersburg in Russland veröffentlicht wurde. Die fragliche Studie beschäftigt sich ausschließlich auf theoretischer Ebene mit den elektromagnetischen Eigenschaften der Großen Pyramide von Gizeh, behauptet aber keinesfalls, dass das Monument damals Strom produziert hätte.

Der Ägyptologe Claude Traunecker, emeritierter Professor an der französischen Universität Straßburg, wurde zu den Behauptungen des Sängers Gîms befragt. Er sagte am 23. April 2023 gegenüber AFP, dass diese Äußerungen, die im Jahr 2023 die Erzählung der elektrischen Pyramiden wieder aufgriffen, “auf keiner wissenschaftlichen Grundlage” beruhten.

“Wir haben außerdem keinen Nachweis darüber, dass die Pyramidia [das Pyramidion ist der pyramidenförmige Schlussstein auf der Spitze der Pyramide, Anm. d. Red.] vergoldet waren. Wir wissen aus Schriftstücken, dass die Spitzen der Obeliske vergoldet waren, aber von den Pyramidia wissen wir das nicht”, sagte Traunecker.

Guillemette Andreu-Lanoë ist Vizepräsidentin der französischen Gesellschaft für Ägyptologie. Sie sagte ebenfalls gegenüber AFP am 13. April 2023, dass die Behauptungen des Rappers “absolut unbegründet” seien. Es habe damals keinen Strom gegeben, “nicht einmal nach dem antiken Ägypten, nicht in Griechenland oder dem alten Rom, nicht im Mittelalter. [Der 1790 geborene französische Ägyptologe Jean-François] Champollion konnte zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur mit einer Öllampe oder einer Kerze leuchten.”

Zur Art und Weise, wie die Ägypterinnen und Ägypter damals Licht machten, sagte die Vizepräsidentin: “Schriftquellen berichten von Lieferungen von zwei Dochten pro Tag  an die Arbeiterim Tal der Könige.” Andreu-Lanoë sagte weiter: “Diese Dochte wurden in Schälchen mit Öl gelegt. Man zündete sie an und sie brannten in vier Stunden ab, was [bei zwei Dochten] einen Arbeitstag von acht Stunden ergibt.”

Was das von Gîms erwähnte Vorhandensein von Gold auf der Spitze der Pyramiden betreffe, so gebe es “keine archäologischen oder textlichen Zeugnisse darüber”. Andreu-Lanoë erklärte, dass die Pyramiden von spitz zulaufenden Pyramidia gekrönt gewesen seien, von denen Archäologen manchmal Fragmente gefunden hätten.

Das Relief im Tempel Hathor in Dendera dagegen sei eine Darstellung “der Geburt der Welt. Sie ist mehrmals an den Wänden dieses Tempels und in dem von Isis, gleich daneben, zu sehen.” Die Entstehung sei auf diese Weise dargestellt: “Zu Beginn taucht ein Lotus aus einem flüssigen Element auf. Eine Schlange erscheint und richtet sich im Herzen der Pflanze auf – das ist die angebliche Glühbirne. Diese Pflanze ist als Plazenta zu sehen, die den zukünftigen Gott Harsomtus trägt.” Harsomtus sei der Gott der Ursprünge, das universelle Wesen, das “zum ersten Mal aus der Lotusblume stieg”.

Bezogen auf Gîms‘ Interpretation der angeblichen “Glühbirne” sagte Claude Traunecker: “Das ist ein mythologisches Bild von der Erschaffung der Welt aus einer Pflanze, es ist einfach ein ikonografischer Zufall, dass diese ovale Form aussieht wie eine Glühbirne.”

Blick auf die Nekropole der Pyramiden von Gizeh, in einem Vorort von Kairo in Ägypten am 6. Januar 2020. – KHALED DESOUKI / AFP

Die Behauptung über “Kraftwerkspyramiden” reiht sich ein in eine lange Liste von Erzählungen rund um den Bau und den ursprünglichen Zweck dieser Monumente. Sie wurden vor über 4500 Jahren in Gizeh, einem Vorort von Kairo für drei Pharaonen errichtet: Cheops, Chephren und Mykerinos.

Diese Faszination sei nicht zuletzt damit zu erklären, dass die Cheops-Pyramide das einzige noch stehende Weltwunder sei, erklärte Guillemette Andreu-Lanoë. Die Wirkung dieser Pyramiden sei “ergreifend und beeindruckend”. Man könne sich kaum vorstellen, dass einzig Gruppen von Menschen diese außergewöhnlichen Monumente geschaffen hätten. Hinzu käme die Pyramidenform, die häufig Fantasievorstellungen auslöse und als Zeichen einer Fabelwelt angesehen werde.

Zu den am weitesten verbreiteten und bekannten Erzählungen gehört die sogenannte “Alien-Theorie”. Diese Erzählung schreibt den Bau der Pyramiden einer fortgeschrittenen außerirdischen Zivilisation zu. In Frankreich wurde diese Erzählung  vor allem durch den Film “Die Enthüllung der Pyramiden” von Jacques Grimault aus dem Jahr 2010 bekannter gemacht. Es ist eine hartnäckige Erzählung: Über zehn Jahre später erklären 20 Prozent der amerikanischen Bevölkerung und neun Prozent der Französinnen und Franzosen, dass sie der Behauptung zustimmen, dass “die ägyptischen Pyramiden in der Antike von Außerirdischen gebaut wurden”. Das ergab eine Ifop-Umfrage, die im April 2023 veröffentlicht wurde.

Diese Erzählung wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach widerlegt. “Es war die Kraft der Menschen, die allesamt dem Ruhm des Pharaos unterworfen waren, die es ihnen ermöglichte, diese Steinblöcke zu bewegen”, betonte Guillemette Andreu-Lanoë. “Damals gab es weder Rad noch Pferd als Hilfsmittel. Der Einfallsreichtum der Bauherren, harte Arbeit und die Anzahl der Arbeitenden waren die besten Mittel, um diese Wunder zu bauen.”

Sie fügte hinzu: “Bei aktuellen archäologischen Arbeiten haben die Kollegen Pierre Tallet in Wadi al-Dscharf und Yannis Gourdon in Hatnub sensationelle Entdeckungen gemacht, die einen Einblick in die angewandte Vorgehensweise erlauben.”

Eine weitere, ebenfalls unbegründete Vorstellung ist die, dass die Pyramiden angeblich zur Lagerung von Getreide gebaut worden wären und nicht als Begräbnisstätte für Pharaonen gedient hätten.

Diese Theorie sei sehr alt und gehe auf das Mittelalter zurück, sagte Claude Traunecker. Er hat etwa 15 Jahre in Ägypten gelebt und an zahlreichen Ausgrabungen und Studien zum alten Ägypten teilgenommen. “Es gibt sogar ein Mosaik in Venedig, Italien, das die Pyramiden darstellt. Darauf legt [die biblische Figur] Josef Getreide in die Pyramiden. Das war der religiöse Glaube, der dahinter stand. Man weiß sehr wohl, dass es sich bei den Pyramiden um Gräber handelt.”

Diese “Getreidespeicher-Idee” sei “in keinem Fall” fundiert, betonte Andreu-Lanoë. “Man hat darin königliche Sarkophage und Grabschätze gefunden und in der fünften Dynastie sind die Wände der Pyramiden mit religiösen Texten bedeckt, die dem Pharao helfen sollen, die Ewigkeit zu erreichen.”

Blick auf die beleuchtete Chephren-Pyramide bei einem Konzert in der Nekropole von Gizeh, einem Vorort von Kairo, am 3. April 2023. – KHALED DESOUKI / AFP

Tristan Mendès France ist Mitglied der Organisation “Observatoire du conspirationnisme“, die sich in Frankreich gegen Diskrimination, Rechtsextremismus und Verschwörungserzählungen engagiert. Der Franzose ist Spezialist für Digitalkulturen und Online-Extremismus. Er sagte gegenüber AFP am 13. April 2023, dass es schon immer Fantasien gegeben habe, die durch die Pyramiden geweckt worden seien.

“Es gibt ein Vorher und Nachher beim Internet und vor allem bei YouTube”, sagte Mendès France. “Youtube hat diese Narrative wieder belebt und sie zugänglich und verfügbar gemacht. In ähnlicher Weise haben auch Streaming-Plattformen dazu beigetragen, zahlreichen pseudowissenschaftlichen Serien rund um verschiedene Mysterien Sichtbarkeit zu verleihen.” Dazu zählten auch die Pyramiden in Ägypten.

“Diese Erzählungen gehören zu dem, was ich als Unterhaltungsverschwörung bezeichnen würde, eine Form des ‘Binge-Watching’ von Verschwörungserzählungen”, erklärte Mendès France weiter. “Dieser Unterhaltungsaspekt wurde immer als weniger gefährlich oder beunruhigend, als exotisch angesehen. Vor allem durch das Spiel der Algorithmen sind diese Erzählungen aber auch Eintrittsmöglichkeiten in einen ganzen Kanon von Verschwörungserzählungen, die ihrerseits weitaus gefährlicher sind.” Die Algorithmen sozialer Netzwerke und Videoplattformen bewirken, dass der Nutzerin oder dem Nutzer automatisch andere, aber ähnliche Inhalte vorgeschlagen werden.

Bei Gîms‘ Äußerungen liege das Hauptproblem in der spezifischen Phrase “Historiker wissen”, so Tristan Mendès France. „Es ist dieser Aspekt seines Narrativs, der zutiefst verschwörungserzählerisch ist.“

Weiter schlüsselte der Experte auf: “Wenn man den Implikationen folgt, die hinter dieser Überzeugung stehen, würde das bedeuten, dass das, was im Fach Geschichte in der Mittel- und Oberstufe gelehrt wird, eine Lüge sei. Das würde bedeuten, dass der Lehrplan des Bildungsministeriums die Wahrheit verschleiere. Dass die Regierung die Wahrheit verstecke. Die französische, aber auch weitere Regierungen. Das wiederum würde bedeuten, dass es eine Zusammenarbeit sämtlicher Regierungen auf der Welt gebe, um die Realität dessen, was passiert ist, zu verbergen. Das würde bedeuten, dass es eine Weltverschwörung gebe.”

Claude Traunecker teilt diese Besorgnis: “Es stört mich sehr, dass Gîms sagt, ‘die Historiker wissen das und halten es geheim’. Das erscheint mir besorgniserregend, zumal ihm Millionen von Menschen in sozialen Netzwerken folgen.”

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Ursprünglich hier veröffentlicht.