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Nein, die Niederlande haben nicht 600 Grünbrücken für Wildtiere gebaut

Author(s): François D’ASTIER, Feliks TODTMANN, AFP Frankreich, AFP Deutschland

Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer haben Ende Januar ein Sharepic auf Facebook geteilt, das angeblich eine niederländische Grünbrücke zeigt. In dem Post wird behauptet, in den Niederlanden gebe es insgesamt 600 solcher Bauwerke, die Tieren bei der Überquerung breiter Straßen helfen. Das Bild ist irreführend. In den Niederlanden gibt es nur einen Bruchteil der angeblichen Wildbrücken. Zudem stammt das Foto aus Singapur.

Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer haben Ende Januar 2022 auf Facebook (hier, hier, hier) ein Bild geteilt, das angeblich eine Wildbrücke über eine Autobahn in den Niederlanden zeigt. Ein ähnliches Sharepic verbreiteten User bereits Anfang August 2019 auf Facebook. Auch damals war von 600 solcher Bauwerke in den Niederlanden die Rede.

Die irreführende Behauptung: Im Text über dem Bild heißt es: “Die Niederlanden haben 600 dieser ‘Grünbrücken’ gebaut, um den Tieren das Überqueren der Strasse zu ermöglichen!”

Facebook-Screenshot der irreführenden Behauptung: 08.02.2022

Eine Rückwärtssuche nach dem Bild aus dem Sharepic führte zu einem Blogpost auf einer Website der Nanyang Technological University in Singapur. In dem Beitrag geht es um die Eco-Link@BKE, eine Grünbrücke, die seit 2013 über den Bukit Timah Expressway (BKE) in Singapur führt. In dem Blogeintrag findet sich dasselbe Bild wie in dem irreführenden Posting. Beide Bilder sind aus derselben Perspektive aufgenommen und zeigen dieselben Autos und denselben Stand der Vegetation.

Der BKE verläuft vom Zentrum Singapurs in nördlicher Richtung bis an die Grenze zu Malaysia und durchquert dabei verschiedene Naturschutzgebiete. Eco-Link@BKE verbindet das Bukit Timah Nature Reserve mit dem Central Catchment Nature Reserve, um Wildtieren die Überquerung des BKE zu ermöglichen. Die abgebildete Brücke steht also nicht in den Niederlanden, sondern führt über eine Schnellstraße in Singapur.

Keine 600 Grünbrücken in den Niederlanden

Die Zahl der niederländischen Grünbrücken in dem Posting ist falsch. Zwar existiert keine aktuelle Statistik zur Zahl der existierenden Grünbrücken in den Niederlanden, aber Experten für das Thema bestätigten gegenüber AFP, dass es tatsächlich wesentlich weniger Grünbrücken als die angeblichen 600 gibt.

Frans Sijtsma ist außerordentlicher Professor für Raumwissenschaften an der Universität Groningen. Er veröffentlichte im Juni 2020 eine Studie zur Effektivität verschiedener Querungshilfen für Wildtiere in den Niederlanden, die im Rahmen des niederländischen Defragmentierungsprogramms geschaffen wurden. Das Programm sollte zwischen 2005 und 2018 Maßnahmen entwickeln, um der zunehmenden Fragmentierung niederländischer Naturräume zu begegnen. Die in der Untersuchung verwendeten Zahlen stammen vom niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Wassermanagement. Demnach gab es 2017 in den Niederlanden 38 Grünbrücken an 31 verschiedenen Orten.

In Sijtsmas Studie gelten solche Brücken als Grünbrücken oder Ecoducts, die ausschließlich für die Nutzung durch Wildtiere vorgesehen sind. Daneben existieren diverse weitere Strukturen, die es Tieren erlauben, gefahrlos Straßen zu überqueren. Geteilt genutzte Viadukte etwa sind Brücken, die neben einer Straße für Fußgänger oder Autos auch Platz für Tierquerungen bieten. 2017 gab es 33 solcher geteilt genutzter Viadukte an 20 Orten in den Niederlanden. Zusammen mit den 38 Grünbrücken ergäbe sich eine Gesamtzahl von 71 Tierbrücken.

Zusätzlich gibt es kleinere und weniger aufwändige Anlagen wie Tunnel, Röhren, Schutzzäune oder -wände, um Tieren die Straßenüberquerung zu erleichtern. Zählte man alle diese Einrichtungen in den Niederlanden zusammen, käme man auf etwa 480, sagte Sijtsma per E-Mail am 4. Februar 2022 gegenüber AFP:

Dieser Irrtum findet sich auch in der deutschen Presse wieder. In einem Geo-Beitrag vom Januar 2015 heißt es: “Die Niederlande sind mit nahezu 600 Tierbrücken weltweites Vorbild.” Für die Zahl nennt der Artikel allerdings keine Quelle.

600 Einzelmaßnahmen zur Defragmentierung von 2005 bis 2018

Edgar van der Grift forscht an der niederländischen Wageningen Universität zum Schutz von Wildtieren. Aktuell gebe es etwa 60 Grünbrücken für Wildtiere in den Niederlanden, sagte er AFP am 8. Februar 2022 per E-Mail. Auch er vermutet, dass sich die angebliche Zahl von 600 Grünbrücken eigentlich auf die Gesamtzahl aller Maßnahmen zur Defragmentierung der Landschaft bezieht.

2020 veröffentlichte das Ministerium für Infrastruktur und Wassermanagement seinen Abschlussbericht für das mehrjährige niederländische Defragmentierungsprogramm, das 2018 abgeschlossen wurde. Das Programm entwickelte insgesamt 592 Einzelmaßnahmen, um die Zerteilung der niederländischen Landschaft durch Infrastrukturbauwerke aufzulösen. “Das kommt der Zahl 600 nahe”, sagte van der Grift. Zu diesen Maßnahmen zählen der Bau von Wildbrücken, aber auch kleinere Projekte wie die Anlage von Dachstunneln oder Fledermausbrücken.

Liz Zoetekouw, Pressesprecherin des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Wassermanagement, sagte am 9. Februar 2022 per E-Mail gegenüber AFP, 2021 habe die Zahl der von ihrer Behörde betreuten Grünbrücken 54 betragen. “Es ist möglich, dass lokale und regionale Behörden weitere Tierbrücken betreuen, aber deren Zahl ist uns nicht bekannt.”

In Deutschland belief sich Zahl der Grün- oder Faunabrücken im April 2019 auf insgesamt 98, wie Ruth Birkhölzer, Sprecherin des Bundesamtes für Naturschutz, AFP am 7. Februar 2022 per E-Mail mitteilte. Im Frühjahr 2019 befanden sich zudem bundesweit neun Grünbrücken im Bau, wie aus einer Kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 12. April 2019 hervorgeht.

Fazit: Das Sharepic ist irreführend. Das Bild zeigt eine Grünbrücke in Singapur. In den Niederlanden gibt keine 600 Grünbrücken. Tatsächlich liegt die Zahl je nach Zählweise zwischen 38 und 71. Abseits des Baus von Brücken wurden jedoch zahlreiche weitere Maßnahmen umgesetzt, um Tieren zu helfen, Straßen ohne Gefahr zu überqueren.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.