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Doch, deutsche Wahlen sind gültig

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Author(s): Eva WACKENREUTHER / AFP Österreich

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes in Deutschland. Online wird behauptet, das Gericht in Karlsruhe habe alle deutschen Wahlen für nichtig erklärt. Das ist falsch – die Postings missinterpretieren ein Urteil des Gerichts aus dem Jahr 2012. Damit verwarf das Gericht einen Teil des Bundestagswahlrechts. Allerdings wurden die Bundestagswahlen oder andere Wahlen in Deutschland damit nicht ungültig. Das betonte auch die Bundeswahlleiterin.

In einem Video sieht man Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts bei der Verkündung eines Urteils. „Bundesverfassungsgericht. Alle Wahlen nichtig!“, schrieb ein User dazu im Juli 2023 auf Facebook, Hunderte teilten es.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 12. Juli 2023

Falschbehauptungen über Wahlen gibt es immer wieder. AFP überprüfte bereits eine solche Behauptung über das Urteil von 2012, außerdem zahlreiche andere Behauptungen über die letzte Bundestagswahl.

Genauso wenig ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu. Eine Rückwärtssuche zeigt, dass das aktuell geteilte Video aus einem Clip des Senders phoenix stammt, der über eine Entscheidung vom 25. Juli 2012 zur Verteilung von Abgeordnetensitzen berichtete.

Worum es im Urteil geht

Im Juli 2012 befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Sitzzuteilungsverfahren für die Wahlen zum Bundestag. Es erklärte das Verfahren in seinem Urteil (hier archiviert) in Teilen als verfassungswidrig. Es verstoße gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie die Chancengleichheit der Parteien. Die damaligen Oppositionsparteien SPD, Grüne und mehr als 3000 Bürger hatten damals gegen die Zuteilung von Mandaten geklagt.

Beanstandet wurde der Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts, der dazu führen kann, dass eine Stimme einer Partei bei der Berechnung der Abgeordnetenzahl letztlich schadet. Das kann durch das Zusammenspiel von Überhangmandaten und die Verrechnung der Stimmen von Landeslisten passieren. Der Bundestag bezeichnet das auf seiner Website als „paradoxe Situation“. Schon Jahre zuvor hatte das Gericht ähnliche Regelungen für verfassungswidrig erklärt.

Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt in einem Video diesen Effekt und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts genauer:

Was im Urteil allerdings nicht vorkommt, ist irgendeine Passage, in der die Bundestagswahl oder andere Wahlen in Deutschland für ungültig erklärt werden. Mittlerweile beschloss der Bundestag eine Wahlrechtsreform, nach der solche Mandate anders verteilt werden.

Bundeswahlleiterin dementiert

Online äußerte sich die Bundeswahlleiterin, die die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl überwacht, zu falschen Informationen über die Bundestagswahl (hier archiviert). Zum Urteil von 2012 heißt es dort: „Das Bundeswahlgesetz blieb im Übrigen hiervon unberührt – also gültig. Insbesondere sind die vergangenen Wahlen nicht für ungültig erklärt worden.“ Auf die Entscheidung sei mit einer erneuten Gesetzesänderung reagiert worden.

Die Wahlprüfung ist zunächst Sache des Bundestages selbst. Der Wahlprüfungsausschuss des deutschen Bundestages überprüft Einsprüche anlässlich der Bundestagswahl und entscheidet über die Gültigkeit der Wahlen. Im Juni 2023 veröffentlichte der Ausschuss seine Empfehlungen zu Einsprüchen der Bundestagswahl 2021 (hier archiviert). Einen Einspruch aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 2012 wies der Ausschuss zurück. Das Gericht habe mit seiner Entscheidung nicht das gesamte Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt, sondern nur das Sitzzuteilungsverfahren.

Christine Langenfeld hält den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen und ist Richterin am Bundesverfassungsgericht. Am 20. Juli 2023 schrieb sie an AFP, dass das Urteil aus dem Jahr 2012 keine Wahl für ungültig erklärt habe. Sie erklärte weiter: „Das Bundesverfassungsgericht kann die Ungültigkeit einer Wahl grundsätzlich nur in einem sogenannten Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren aussprechen.“ Das Urteil vom 25. Juli 2012 sei jedoch nicht in einem solchen Beschwerdeverfahren ergangen.

Selbst wenn ein solches Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren feststellen würde, dass es einen Wahlfehler gegeben habe, würde die Wahl nicht automatisch für ungültig erklärt werden, führte Langenfeld weiter aus: „Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt vielmehr einen so schwerwiegenden Wahlfehler voraus, dass ein Fortbestand der fehlerhaft gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bisher noch nie eine Bundestagswahl (insgesamt oder teilweise) für ungültig erklärt.“

2021 erklärten außerdem mehrere Professoren für Öffentliches Recht gegenüber AFP, dass die Behauptung falsch sei. Michael Brenner, der den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Jena hält, sagte beispielsweise, dass ihm nicht bekannt sei, dass die Wahlen damals für ungültig erklärt worden wären. Auch Niels Petersen, Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung an der Universität Münster, stufte die Behauptungen als ohne jede Basis ein.

Wahlrechtsreform unterzeichnet

Im Juni 2023 hatte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier nach einer scharfen Kontroverse im Bundestag ein Gesetz zur Wahlrechtsreform unterzeichnet, das bei der für 2025 geplanten nächsten Bundestagswahl angewandt werden soll.

Die Neuregelung soll den Bundestag auf 630 Sitze verkleinern, derzeit gibt es 736 Abgeordnete. Außerdem erhält die Zweitstimme mehr Bedeutung und die Grundmandatsklausel fällt. Die Unionsfraktion teilte mit, sie werde gegen die Neuregelung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Fazit: Die Wahlen sind gültig. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte im Jahr 2012 einen Effekt bei der Zuteilung von Mandaten. Das Urteil erklärte allerdings nicht alle Wahlen für ungültig. Dies bestätigte die Bundeswahlleiterin.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.