Millionen von Menschen aus der Ukraine befinden sich seit Kriegsausbruch im Februar 2022 auf der Flucht. Trotzdem behaupten Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Netzwerken, der Ukrainekrieg sei nicht echt und lediglich medial inszeniert. Um diese falsche Behauptung zu untermauern, benutzen sie Videoaufnahmen von einem Filmset in Lettland. Dort entstand ein kurzer Spielfilm, kein Nachrichtenbericht. Der Krieg in der Ukraine ist durch unzählige unabhängig voneinander entstandene Berichte belegt.
User haben das Video mit der falschen Behauptung seit Anfang April 2023 auf Facebook geteilt. Auch in anderen Sprachen wie Russisch, Englisch, Niederländisch oder Rumänisch verbreitete sich der Clip gemeinsam mit der Behauptung, er zeige eine Inszenierung von Kriegshandlungen.
Die Behauptung: Im geteilten Clip sind drei Szenen aneinandergereiht. Zuerst sieht man, wie mehrere von einer Filmcrew umringte Soldaten ein Gebäude betreten, danach folgen zwei Clips von Explosionen im Inneren des Hauses, die von einem Kameramann festgehalten werden. “Alles was Du siehst aus der Ukraine hat ein Set und einen geplanten Ablauf. Nichts ist echt”, schrieb eine Nutzerin dazu.
Die vermeintliche Inszenierung von Kriegshandlungen ist immer wieder Kern von Desinformation seit dem Einmarsch russischer Truppen im Februar 2022. AFP hat bereits mehrere solcher Behauptungen widerlegt. Nutzerinnen und Nutzer beschrieben beispielsweise fälschlich Dreharbeiten eines Science-Fiction-Films in England als in der Ukraine inszenierte Massenpanik, einen Seriendreh in Russland als angeblich inszenierte Kriegsopfer oder verschiedene Drehs von Musikvideos als angebliche Produktion von Kriegsszenen. Weitere überprüfte Falschbehauptungen zum Ukrainekrieg sammelt AFP hier.
Auch die aktuell geteilte Szene stammt von einem Filmset und belegt nicht, dass der Krieg in der Ukraine erfunden ist.
Regisseur dementiert Falschinfos gedreht zu haben
Eine Stichwortsuche führte AFP zu mehreren Faktenchecks (hier, hier, hier), die den Film “Hoffnung” (Original: Надія) erwähnen.
Laut eines Berichts von Ende März 2023 des lettischen Senders LSM über die Dreharbeiten handelt der Kurzfilm “Hoffnung” von einer ukrainischen Frau und ihren Schwierigkeiten aufgrund des Kriegs in der Ukraine. Der Vorname Nadja der Hauptfigur des Films bedeutet im Ukrainischen und Russischen ebenfalls Hoffnung. Ein Teil der Dreharbeiten dazu fand in Sigulda in Lettland statt.
Gegenüber der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform erzählte der ukrainische Regisseur und Drehbuchautor Artem Kocharian Mitte März 2023, dass die Handlung des Films von der Geschichte einer Bekannten inspiriert sei. Am 13. April schrieb Kocharian an AFP: “Mein Kurzspielfilm basiert auf der wahren Geschichte einer Frau. In den ersten Tagen der massiven Aggression Russlands gegen die Ukraine verlor sie ihre Eltern durch eine Raketenexplosion. Zwei Wochen später wurde ihr geliebter Mann in die Armee eingezogen. Einige Wochen später erfuhr sie, dass sie schwanger war, und beschloss, es ihrem Liebsten mitzuteilen, hatte aber keine Zeit mehr. Während eines Telefongesprächs wird ihr Geliebter getötet und sie bleibt allein zurück.”
Die Ende März 2023 gefilmten Szenen aus den aktuell geteilten Postings zeigen den Moment, in dem der Mann der Hauptfigur sterbe, erklärte Kocharian gegenüber AFP.
Der Regisseur bestätigte zudem gegenüber AFP, dass die Aufnahmen vom Filmset seines Kurzfilms stammen. Gegenüber Ukrinform sagte er, dass der Film keine Dokumentation sei und fügte hinzu, dass es bereits genügend Dokus über den Krieg in der Ukraine gebe.
Er hatte alle drei Clips, aus denen sich das aktuell geteilte Video zusammensetzt, zuvor auf TikTok veröffentlicht (hier, hier, hier). Er beschrieb sie dort jeweils als Backstageaufnahmen und legte auf zwei der Videos einen Sound, der auch in den aktuell geteilten Videos zu hören ist. Kocharian schickte AFP eines der Videos mit Originalton und in einer längeren Fassung, um zu zeigen, dass die Originalclips von seinem Set stammen. Er schickte außerdem ein weiteres Video, das das Set aus einer anderen Perspektive zeigt.
Auf seiner Facebookseite teilte er außerdem mehrere Faktenchecks zum Thema und kommentierte die Behauptungen (hier, hier). Dort widersprach er, Fake News gedreht zu haben und forderte dazu auf, vorsichtig mit Informationen im Internet umzugehen.
Filmset in Lettland
Einige Details aus dem zuvor erwähnten LSM-Bericht bestätigen außerdem Kocharians Schilderungen. Darin kommen dieselben Szenen wie in den aktuell geteilten Beiträgen vor. Auch LSM beschreibt sie als Dreh eines Kurzfilms, nicht als Nachrichten aus der Ukraine.
Der untenstehende Vergleich zwischen dem aktuell geteilten Video und dem LSM-Bericht zeigt, dass die Aufnahmen von den Dreharbeiten stammen.
In beiden Videos sind beispielsweise die kugelförmigen weißen Lampen im Gang zu sehen. Die hellblauen und dunkelblauen Fliesen mit dunkler Bodenleiste, die bis zur Wandmitte reichen, stimmen überein.
Ein Kameramann mit grauer Hose und Mütze, der seine teilweise rote Kamera auf einem Brett hält, ist ebenfalls in beiden Aufnahmen zu sehen.
AFP fand außerdem den genauen Drehort der Aufnahmen, der bestätigt, dass sich das Set der Szene in Lettland und nicht in der Ukraine befindet. Eine Darstellerin des Films teilte auf Facebook Eindrücke von hinter den Kulissen und erwähnte darin “Poligon 1” als Aufnahmeort. In den Story-Highlights der Instagramseite des Films kommt außerdem ein Clip der Szene vor, die ebenfalls von “Poligon 1” verbreitet wurde. “Poligon 1” ist der Name eines Areals im lettischen Sigulda, das Aktivitäten wie Lasertag anbietet.
Auf seiner Website zeigt “Poligon 1” außerdem Fotos der sogenannten Baracke. Darin sind die bereits erwähnten blauen Fliesen sowie die runden weißen Lampen zu erkennen, die auch im Video der Dreharbeiten vorkommen.
Fotos des Areals von Google Maps stimmen ebenfalls mit dem aktuell geteilten Video überein. In beiden ist eine Tür mit hölzernen Längsstreben zu sehen. Über der Tür ist eine runde Lampe angebracht, ein Kabel führt an der Hausmauer entlang. Ein kleiner Aufgang mit Stufen ist ebenso zu sehen wie ein zurückgeschnittener Baum.
AFP fand keine Hinweise darauf, dass die Aufnahmen zur Berichterstattung über angeblich Kriegshandlungen in der Ukraine benutzt worden wären.
Beweise für Ukrainekrieg
Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 gab es unzählige Medienberichte über den Krieg in der Ukraine. Unabhängig voneinander berichten sie alle von Bombenangriffen, Leichenfunden und Militäroffensiven und deren Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung. AFP ist ebenfalls in der Ukraine vor Ort, ein im Februar 2023 veröffentlichter Rückblick zeigt Schlüsselmomente des ersten Kriegsjahres.
Ein Jahr nach Kriegsausbruch befanden sich mehr als 8 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht. Diese Zahl ist auch im April 2023 ähnlich hoch.
Fazit: Das aktuell geteilte Video belegt nicht, dass der Krieg in der Ukraine erfunden ist. Die Aufnahme stammt vom Set des Films “Hoffnung” in Lettland. Für den Krieg in der Ukraine gibt es zahlreiche Berichte von Augenzeugen, Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt dokumentieren den Krieg.