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Dieses Video zeigt Pilger, nicht aus der Republik Moldau fliehende Juden

Dieses Video zeigt Pilger, nicht aus der Republik Moldau fliehende Juden - Featured image

Author(s): Petros KONSTANTINIDIS / AFP Deutschland / AFP Griechenland

Jedes Jahr reisen aus aller Welt tausende chassidische Juden in die ukrainische Stadt Uman, um dort das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana zu feiern. Seit Russlands Invasion der Ukraine hat sich über den größten Flughafen in der benachbarten Republik Moldau eine neue Hauptreiseroute für diese Pilger entwickelt. Ein Video, das Menschenmassen an diesem Flughafen zeigt, wurde im September 2023 in sozialen Netzwerken mit der Falschmeldung verbreitet, es zeige moldawische Juden bei der Flucht, weil ein Krieg unmittelbar bevorstünde. Offizielle Stellen und die Direktorin der jüdischen Gemeinschaft in Moldawien erklärten gegenüber AFP, es handle sich bei den auf den Aufnahmen zu sehenden Menschen um Pilger auf der Reise. Moldawische Juden seien nicht dabei, in Massen zu flüchten, sagten sie.

Der ukrainische Luftraum ist für zivilen Flugverkehr seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 gesperrt. Das hat dazu geführt, dass der moldauische Flughafen in Chişinău nun am nächsten zur ostukrainischen Stadt Uman liegt. Die beiden Städte liegen rund 300 Kilometer Fahrstrecke voneinander entfernt.

Videos von zahlreichen Pilgern am internationalen Flughafen von Chişinău wurden in sozialen Netzwerken hunderte Male mit der Falschmeldung geteilt, sie würden jüdische Menschen dabei zeigen, wie sie überstürzt Moldawien zu verlassen versuchten.

“NATO-VORBEREITUNGEN IN MOLDAWIEN”, so der Text dieses griechischsprachigen Facebook-Beitrags, der am 23. September 2023 veröffentlicht wurde. Das Video zeigt in traditionell jüdischem Gewand gekleidete Männer, die sich vor einem gläsernen Gebäude drängen. Auch Polizei ist inmitten der Menschenmenge zu sehen. Auf das Video gelegt sieht man einen griechischen Text: “Juden verlassen Moldawien in Eile… der Dritte beginnt offiziell.”

Der Beitrag wurde mehr als 600 Mal geteilt. Die Erwähnung der Nato sowie “des Dritten” können als Anspielung auf einen dritten Weltkrieg verstanden werden. Ein weiterer Beitrag mit demselben Video wurde hier gemeinsam mit Kommentaren geteilt, die sich vor einem Atomwaffeneinsatz durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin sorgen.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 28. September 2023

Doch diese Behauptungen stellen die Szenen in dem Video in einen falschen Kontext. Eine Untersuchung von AFP bestätigte zwar, dass das Video am internationalen Flughafen von Chişinău aufgenommen wurde, doch zeigt es internationale Besucher, die nach den Feierlichkeiten zu Rosch Haschana in Uman zurück in ihre jeweiligen Heimatländer, hauptsächlich Israel, zurückreisen. 

Ein Video von Tiktok 

Um das ursprüngliche Video zu finden, sah sich AFP zunächst die Tiktok-Namen, die auf der Facebook-Version des Videos zu sehen waren, an: Diese waren @michelebucatca und @ioannis_paterakis.

AFP fand das Video auf dem ersten Profil, auf dem es am 22. September 2023 veröffentlicht wurde. Der erste und beliebteste Kommentar auf dem Video lautet fehlerhaft auf Französisch: “Sie gehen, weil sie wissen, dass der Krieg in Moldawien anfangen wird.” Mit einem antisemitischen Unterton heißt es im Kommentar weiter: “Diese Leute wissen immer als erstes Bescheid.”

Als AFP auf Tiktok nach den Wörtern “Moldawien Flughafen Juden” suchte, fand es das Video auch in anderen Beiträgen.

Die früheste Version, die AFP finden konnte, wurde von einem Tiktok-Account mit dem Benutzernamen @marindominte am 19. September 2023 geteilt. Dieses Video hatte auch die beste Bildqualität, was darauf schließen lassen könnte, dass es sich hier um das Original oder zumindest eine frühe Version handeln könnte. Auf dem Video steht der Text “Flughafen Chişinău 19.09.2023,” was vermuten lässt, dass das Video an diesem Tag aufgenommen worden sein könnte.

Wie hier zu sehen ist, stimmt das Video genau mit dem Video überein, das gemeinsam mit den griechischen Falschinformationen verbreitet wurde.

Bildvergleich zwischen dem Video mit den Falschinformationen (links) und der Version des Videos, die auf Tiktok am 19. September 2023 veröffentlicht wurde (rechts). Screenshots: 29. September 2023

AFP fragte bei dem Account, der die frühe Version des Videos teilte, nach mehr Informationen, erhielt aber bis zur Veröffentlichung dieses Artikels keine klaren Informationen über den Urheber oder weiteren Kontext.

Um zu bestätigen, dass das Video in der Tat am Flughafen von Chişinău gefilmt wurde, nutzte AFP Google Street View. Wie der untenstehende Vergleich zeigt, machen mehrere Elemente klar, dass das Video vor dem Abflugbereich des internationalen Flughafens von Chişinău aufgenommen wurde.

Bildvergleich zwischen zwei Aufnahmen aus dem Video (links) und der Google Street View-Ansicht des Flughafens von Chişinău (rechts), Hervorhebungen durch AFP

Pilger, die das jüdische Neujahr in der Ukraine feierten

Indem AFP den Aufnahmeort bestimmen und das Aufnahmedatum eingrenzen konnte, konnte AFP gezielt mit Begriffen wie “Jüdisch + Moldawien + Flughafen” suchen, nach Medienberichte rund um dieses Datum suchen.

Tatsächlich gab es mehrere Treffer. Dieser Artikel der moldauischen Presseagentur IPN, der am 18. September 2023 veröffentlicht wurde, erklärte, dass es aufgrund der erhöhten Durchreisezahlen von chassidischen Juden rund um den internationalen Flughafen von Chişinău zu erhöhten Sicherheitsmaßnahmen kam.

Im Text steht auch, dass es an dem Flughafen zusätzliche Flüge gebeben habe, weil die chassidischen Juden aus Uman zurückkehrten, wo sie das jüdische Neujahrsfest feierten. Rosch Haschana fand dieses Jahr vom 15. bis 17. September statt.

“Der Flughafen Chişinău ist bereit, mit einem erhöhten Aufkommen an Flügen und Reisenden zurechtzukommen. Eine Warteplattform für chassidische Juden wurde in der Nähe errichtet. Zelte für Kontrollen wurden errichtet. Spezielle Abläufe wurden ins Leben gerufen, um die Reisedokumente der Pilger zu überprüfen. Die Zahl der Arbeiter im Schichtbetrieb wurde erhöht, um den Prozess zu optimieren”, so der Nachrichtenbericht.

Uman ist eine wichtige religiöse Stätte, da es die Ruhestätte des Rabbi Nachman von Breslov ist. Er ist Begründer eines Zweigs des chassidischen Judentums.

Wegen des Kriegs ist der Flughafen aktuell der der Stadt nächstgelegenste. Chişinău empfing aus aller Welt Pilger, die dann über Land in die Ukraine weiterreisten. Der israelische Außenminister Eli Cohen reiste im August 2023 in die Republik Moldau, um für einen sicheren Reiseablauf für die Pilger zu sorgen, von denen die meisten aus Israel kamen.

Obwohl es wegen des Kriegs Aufrufe zu Einschränkungen gab, reisten rund 18.000 chassidische Juden während Rosch Haschana 2023 nach Uman, berichtete AFP.

Betende Juden in Uman am 15. September 2023 – GENYA SAVILOV / AFP

Laut einem Pressesprecher der moldauischen Grenzschutzbehörde, der am 29. September 2023 mit AFP sprach, kamen im Zeitraum vom 6. bis 17. September 2023 17.877 chassidische Juden nach Moldawien, um von dort nach Uman weiterzureisen. Zwischen 18. und 22. September verließen 15.201 Leute Moldawien. Die meisten Pilger waren israelische Staatsbürger und etwa drei Prozent hatten Pässe aus den USA, Frankreich, Deutschland, Kanada, Argentinien, Italien, Irland und Großbritannien, so die Grenzschutzbehörde.

Die große Durchreise der chassidischen Juden wurde auch von der Direktorin der jüdischen Gemeinde in Moldawien, Aliona Grossu, bestätigt. “Es gab einen massiven Durchzug an Pilgern durch Moldawien nach Uman während der wichtigen jüdischen Feiertage dieses Jahrs,” sagte sie AFP gegenüber in einer Textnachricht am 28. September 2023.

AFP zeigte Grossu das Video. Sie sagte, die Juden auf den Aufnahmen seien nicht auf der Flucht. “Es gab keinen massiven Exodus von Juden aus Moldawien.”

Extraflüge aus Israel

AFP zeigte das Video Natalia Cojocaru, Pressesprecherin des internationalen Flughafens von Chişinău. Sie sagte AFP gegenüber in einer Nachricht am 27. September 2023: “Ich kann bestätigen, dass die chassidischen Juden in dem Video durch den internationalen Flughafen von Chişinău reisten.” Sei seien allerdings “nicht lokale Moldawier, die das Land verlassen.”

Die Ankünfte und Abflüge des Flughafens rund um die Daten der erwarteten Pilgerreisen passen dazu. Tatsächlich gab es eine erhöhte Zahl an Flügen, die zwischen 11. und 14. September 2023 aus Tel Aviv-Jaffa ankamen, sowie eine zweite Spitze an Flugzahlen in Richtung Tel Aviv-Jaffa zwischen 18. und 19. September 2023.

Engere Beziehungen zur EU und Nato

Die Republik Moldau, die sich zwischen Rumänien und der Ukraine befindet, hat seit der Invasion der Ukraine Sorgen vor einem Einmarsch russischer Truppen im eigenen Land. Doch bis Oktober 2023 gab es keine Berichte eines Angriffs auf das Land, auch wenn Trümmer einer Rakete im September 2023 nach einem russischen Luftangriff auf die Ukraine in moldawischem Gebiet gefunden wurden.

Der stellvertretende Nato-Generalsekretär Mircea Geoană besuchte am 14. und 15. September 2023 Chişinău, um dort die sich vertiefende Kooperation der Allianz mit Moldawien zu besprechen. Moldau trat dem Verteidigungsbündnis 1992 bei.

Fazit: Das Video wurde zwar am internationalen Flughafen von Chişinău aufgenommen und zeigt auch chassidische Juden, doch sind diese nicht auf der Flucht. Stattdessen handelt es sich um eine Gruppe Pilger, die in die ukrainische Stadt Uman reisten, um dort an den Feierlichkeiten rund um das jüdische Neujahrsfest teilzunehmen. Uman spielt in einem Zweig des chassidischen Judentums eine bedeutende Rolle als letzte Ruhestätte eines wichtigen Rabbis.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.