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Globale Erderwärmung im 20. Jahrhundert ist beispiellos

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Author(s): Katharina ZWINS / AFP Österreich

Es besteht seit langem wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird. In sozialen Medien kursieren allerdings Videos, die suggerieren, dass die Erderwärmung natürlich sei. Aus einer Dokumentation des ZDF gehe nämlich hervor, dass die Durchschnittstemperatur vor 2000 Jahren um zwei Grad höher gelegen habe, so die Begründung. Expertinnen und Experten wiesen die Behauptungen gegenüber AFP zurück.

“NIX CO2, NIX Überbevölkerung, NIX Menschen gemacht. (…) Vor 2000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur etwa um zwei Grad höher als heute”, heißt es in einem Reel, das seit Mai 2023 in sozialen Medien verbreitet wird. In der Beschreibung des Videos ist angeführt, dass dieses einen Ausschnitt einer Dokumentation des deutschen Fernsehsenders ZDFinfo über das Leben in der Römerstadt Carnuntum zeige. “ZDF entlarvt die eigene Klimahysterie: ‘Vor 2000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur etwa um 2 Grad höher als heute’ – ganz ohne Autos, Ölheizungen & Co”, schreibt ein anderer User über ein Foto auf Facebook mit dem Link zum selben Videoausschnitt mit der Behauptung.

Die Postings wurden auf Facebook beinahe 2500 Mal geteilt und über 77.000 Mal angesehen. Hinzukommen weitere ähnliche Videos auf Tiktok und Instagram. Auch Politiker der deutschen rechtsextremen AfD haben das Video verbreitet.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 28. Juni 2023

Userinnen und User stellen immer wieder die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Sie sehen die Ursache der Erderwärmung beispielsweise in natürlichen Zyklen des Magnetfeldes, Sonnenzyklen oder sehen in Temperaturveränderungen natürliche Wetterereignisse. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.

Fernsehsender distanzieren sich

Auf Anfrage von AFP bestätigte das ZDF am 23. Juni 2023, dass es sich tatsächlich um einen Auszug aus der in ZDFinfo gesendeten Dokumentation “Carnuntum – Weltstadt im Land der Barbaren” (Link hier archiviert) handle. Diese sei 2006 vom ORF (Österreichischer Rundfunk, Anm. d. Red.) produziert worden, das ZDF habe die Sendung lediglich als Lizenz erworben und die deutschsprachige Fassung übernommen.

Die “Klimahysterie”, wie User behaupten, sieht das ZDF mit dem Ausschnitt aus der Dokumentation jedenfalls nicht “entlarvt”, erklärte ein Sprecher: “Die ZDFinfo-Redaktion sieht im genannten Beispiel den wiederholten Versuch, natürliche Schwankungen des Klimas in der Erdgeschichte zu benutzen, um den menschengemachten Klimawandel in Abrede zu stellen.”

AFP hat die gesamte Dokumentation angesehen. Ursachen des Klimawandels werden nicht thematisiert. Ab Minute 32 findet sich lediglich folgende Passage: “Das Leben oder Sterben eines Gladiators hatte für die Römer wenig Bedeutung und war so selbstverständlich wie der Wechsel der Jahreszeiten. Vor 2000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur etwa um zwei Grad höher als heute. Dennoch konnten die Winter mitunter streng sein und das Überleben in freier Wildbahn war hart.”

AFP konnte nicht feststellen, worauf diese Aussage ursprünglich basiert. Die Wissenschaftsabteilung des ORF, der aus dem Abspann der Dokumentation eindeutig als deren Koproduzent hervorgeht, teilte AFP per E-Mail mit, dass der Regisseur und Drehbuchautor der Dokumentation, Kurt Mündl, bereits verstorben sei und demnach nicht mehr befragt werden könne. Am 3. Juli 2023 hieß es außerdem weiter schriftlich: “Die angeführte Dokumentation stammt aus dem Jahr 2006. Der Vergleich zur Temperatur von vor 2000 Jahren wurde aus der damaligen Sicht gezogen – ist daher heute gar nicht mehr gültig. Phänomene der Vergangenheit, zudem aus dem Zusammenhang gerissen, sind aber grundsätzlich untauglich, um die heutige Situation zu beurteilen. Klimaveränderungen in der Erd- und Menschheitsgeschichte hat es regelmäßig gegeben. Doch die Erwärmung, die wir heute erleben, ist einzigartig, da sie menschengemacht ist.”

Temperatur vor 2000 Jahren in Mitteleuropa vermutlich niedriger

Das bestätigten auch zahlreiche Fachleute. Jan Esper, Professor für Klimageographie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, erklärte gegenüber AFP am 27. Juni 2023, dass aus Rekonstruktionen zudem Folgendes hervorgehe: “In Mitteleuropa hatte es vor 2000 Jahren nicht um 2 Grad mehr als heute. Es war vermutlich so warm wie Mitte bzw. Ende des 20. Jahrhunderts, zeigen Schätzungen.”

Auch Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz, schrieb AFP am 27. Juni 2023, “dass die Zeit um Christi Geburt in der Nordhemisphäre eher etwas kälter war als heute – vergleichbar den Temperaturen in den 1980er Jahren”. Dies würde unter anderem eine Studie aus dem Jahr 2011, die in der Fachzeitschrift Science (Link hier archiviert) publiziert wurde, zeigen. Eine Grafik auf Seite 4 bildet die rekonstruierte Temperaturabweichung im Vergleich zum Zeitraum 1901-2000 ab. “Dort spricht nichts für höhere Temperaturen als heute, sondern eher leicht kältere”, erklärte Maraun.

Das bestätigte auch Marc Olefs, Leiter der Abteilung Klimaforschung bei der österreichischen Bundesanstalt Geosphere Austria, AFP am 27. Juni 2023 – unter Verweis auf eine Studie (Link hier archiviert) führender Experten aus dem Jahr 2016. Das angeführte Papier setzt sich mit den Temperaturentwicklungen der letzten Jahrtausende in Europa auseinander. Aus der Grafik auf Seite 3 lasse sich ebenfalls nicht ablesen, dass es in Europa vor rund 2000 Jahren wärmer gewesen sei als heute.

Temperaturen der letzten Jahre höher als fast während des gesamten Holozäns

Für präzise Rekonstruktionen der globalen Durchschnittstemperatur vor 2000 Jahren sei die Datenlage allerdings dünner als für einzelne Regionen, meinten Forschende gegenüber AFP: “Ob es damals global gesehen genau 2 Grad mehr waren als heute, lässt sich schwer eindeutig beantworten”, sagte etwa Klimageograph Esper.

Das Deutsche Klima-Konsortium führt auf seiner Website an, dass sich die Luft an der Erdoberfläche gegenüber der vorindustriellen Zeit im globalen Mittel bereits um rund 1 Grad erwärmt habe: “Ein solches Temperaturniveau gab es laut den verfügbaren paläoklimatischen Daten noch nie während der vergangenen 2000 Jahre und sehr wahrscheinlich auch nie während der gegenwärtigen Warmzeit (dem Holozän), die vor knapp 12.000 Jahren begann – also noch nie im Laufe der Geschichte des modernen Menschen.”

Das deutsche Umweltbundesamt teilte AFP am 28. Juni 2023 ebenfalls schriftlich mit, dass die globale Durchschnittstemperatur vor 2000 Jahren um circa 1 Grad unter der heutigen globalen Durchschnittstemperatur gelegen habe. Hierbei wird auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2013, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature (Link hier archiviert), hingewiesen. Diese zeigt in Abbildung 4b, dass die Erderwärmung der vergangenen rund hundert Jahre einen vorherigen, langanhaltenden Abkühlungstrend beendet hat und es seit 1400 Jahren (weltweit betrachtet) keine so hohen Temperaturen gab wie derzeit.

Von Seiten des Umweltbundesamtes wird AFP am 28. Juni 2023 außerdem mitgeteilt, dass es in der Vergangenheit regional tatsächlich zu Erwärmungen gekommen sei. Als Beispiel wird die mittelalterliche Warmzeit (ungefähr 900 bis 1400 n. Chr.) auf der Nordhalbkugel angeführt. Hierbei habe es sich allerdings um lokale Phänomene gehandelt, wie auch der Weltklimarat (Link hier archiviert) anführte. Die aktuelle Erwärmung sei hingegen ein globales Phänomen. Schlüsse aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit Temperaturveränderungen stattgefunden haben, könnten für die Ursachen der aktuellen Erderwärmung zudem nicht gezogen werden. “Entscheidende Größe” sei vielmehr die globale Durchschnittstemperatur, erklärte das Umweltbundesamt weiter. Neueste Studien würden hierbei ein eindeutiges Bild zeigen.

Tatsächlich geht aus zahlreichen Publikationen hervor, dass die Durchschnittstemperaturen der letzten Jahre höher waren als fast während des gesamten Holozäns: 2013 kam eine im Magazin Science (Link hier archiviert) veröffentlichte Studie beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die globalen Temperaturen aktuell “höher sind als während 90 Prozent des gesamten Holozäns”. Hierbei wurden die durchschnittlichen globalen Oberflächentemperaturen mithilfe einer Vielzahl von land- und meeresbasierten Proxydaten (also Informationen, die indirekt Auskunft über vergangene Klimaverhältnisse geben – etwa Baumringe) rekonstruiert. 2020 zeigte eine weitere Studie, in Scientific Data (Link hier archiviert) veröffentlicht, dass bei 80 Prozent der genutzten Rekonstruktionsmethoden kein 200-Jahres-Intervall in den letzten 12.000 Jahren die Wärme des letzten Jahrzehnts überstieg.

Derzeitiger Temperaturanstieg schneller und drastischer als je zuvor

Immer wieder werden vergangene warme Phasen als Argument gegen den menschengemachten Klimawandel angeführt. Dadurch wird suggeriert, dass der aktuelle Klimawandel hauptsächlich auf natürlichen Einflüssen beruhe. Der aktuelle Anstieg der globalen Temperaturen vollziehe sich allerdings viel schneller und drastischer als bei vergangenen natürlichen Klimaveränderungen, heißt es vom Weltklimarat (Link hier archiviert) 2021. Zudem sei die aktuelle Erwärmung seit mehr als 2000 Jahren beispiellos (Link hier archiviert). Die globale Oberflächentemperatur ist laut Weltklimarat seit 1970 schneller gestiegen (Link hier archiviert) als in jedem anderen 50-Jahres-Zeitraum der letzten 2000 Jahre. Ähnliches geht auch aus einer Studie hervor, die 2021 in der Fachzeitschrift Nature (Link hier archiviert) veröffentlicht wurde.

Screenshot von IPCC, Summary for Policymakers, Abbildung SPM.1: Geschichte der globalen Temperaturveränderung und Ursachen der jüngsten Erwärmung: 3. Juli 2023

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Organisationen auf der ganzen Welt sind sich zudem einig, dass der starke Anstieg der globalen Temperaturen der letzten Jahre vor allem durch den menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen bedingt ist. Über natürliche Einflüsse alleine lasse sich das nicht erklären, beschrieb der Weltklimarat 2021 etwa hier. “Es ist unbestritten, dass der menschliche Einfluss die Atmosphäre, die Ozeane und das Land erwärmt hat”, fasste der Weltklimarat im selben Jahr (Link hier archiviert) an anderer Stelle zusammen.

Klimawissenschaftler Maraun von der Universität Graz ist sich jedenfalls sicher, dass aus wärmeren Perioden in der Vergangenheit nicht abgeleitet werden könne, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei. Auf die Frage von AFP, ob höhere Temperaturen vor 2000 Jahren die “Klimahysterie” entlarven, wie in sozialen Medien behauptet, antwortete der Forscher: “Natürlich nicht. Treibhausgase haben das Klima erwärmt.”

Fazit: Studien zeigen, dass die globalen Durchschnittstemperaturen vor 2000 Jahren vermutlich niedriger waren als heute. Regionale Erwärmungen in der Vergangenheit lassen zudem keine Schlüsse auf die Ursachen der aktuellen globalen Erderwärmung zu. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass der Klimawandel menschengemacht ist.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.