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Kontroverse um Ukraine-Videos in ORF-Nachrichtensendung

Kontroverse um Ukraine-Videos in ORF-Nachrichtensendung - Featured image

Author(s): Eva WACKENREUTHER / AFP Österreich

Zwei Videos aus einer ORF-Nachrichtensendung sorgen derzeit für viel Wirbel. Der ORF hatte sie für Berichterstattung über Zwangsrekrutierungen verwendet, in Wahrheit stammen sie allerdings aus anderen Zusammenhängen. Ein Video zeigt die Verhaftung eines russischen Agenten in Odessa, das andere einen abgeführten Mann an einem Grenzkontrollpunkt. Der ORF entschuldigte sich mittlerweile für den Fehler. AFP zeigt, wie man selbst den Ursprung eines Videos finden kann.

Im rund zweiminütigen Beitrag der österreichischen Nachrichtensendung Zeit im Bild 1 vom 15. August 2023 geht es um Korruption in der Ukraine. Dem Publikum des öffentlich-rechtlichen Senders werden darin Beispiele gezeigt, dass “nicht alle Männer bereit sind, für ihr Land zu kämpfen.” Die Vermeidung der Mobilisierung sei eine Quelle für Korruption, heißt es im Beitrag. Währenddessen sind zwei Sequenzen zu sehen, in denen je ein Mann von Männern in Uniform festgehalten wird.

ORF-Beitrag vom 15. August 2023, Screenshot aufgenommen am 17. August 2023
ORF-Beitrag vom 15. August 2023, Screenshot aufgenommen am 17. August 2023

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet von gefeuerten Leitern der Stellungskommissionen, die gegen Bestechungsgelder Soldaten vor einer Einberufung verschont haben sollen. Die Absetzung aller Leiter der Rekrutierungsbüros durch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verdeutlicht die Bemühungen der Ukraine, konsequenter gegen Korruption und Bestechung vorzugehen. Die Europäische Union hat Anti-Korruptions-Reformen zu einer Bedingung für den von der Ukraine angestrebten EU-Beitritt gemacht. Auch AFP berichtete über diesen Schritt:

Videos aus anderem Zusammenhang

Ein Weg, mehr über den Ursprung einer Aufnahme herauszufinden, ist mithilfe einer Rückwärtssuche. Indem man einen Screenshot aus einem markanten Teil des Videos aufnimmt, können Suchmaschinen andere Seiten zutage fördern, auf denen das Material ebenfalls verwendet wurde. AFP erklärt hier genauer, wie jeder selbst eine solche umgekehrte Bildsuche durchführen kann.

Eine solche Suche nach dem ersten Video zeigt, dass es nicht ganz neu ist. Bereits im März 2023 wurde es beispielsweise von Usern auf der Plattform X hochgeladen. In der Beschreibung ist allerdings nicht von einer Zwangsmobilisierung die Rede, sondern von einem verhafteten Agenten des russischen Geheimdienstes in Odessa.

Der Inlandsgeheimdienst SBU der Ukraine veröffentlichte am 20. März 2023 eine Meldung (hier archiviert), die das bestätigt. Dazu zeigte der Sicherheitsdienst dasselbe Video sowie weitere Fotos. Auch Medien berichteten damals über die Festnahme. Von einer Zwangsrekrutierung wie im Wehrschütz-Beitrag ist nie die Rede.

Eine weitere Möglichkeit, mehr über ein Video herauszufinden, ist mithilfe einer Stichwortsuche. Oft haben schon User oder Medien auf Unstimmigkeiten hingewiesen. Suchoperatoren können zum Beispiel helfen, relevante Ergebnisse zu finden. Wie das geht, erklärt AFP hier:

Auch in diesem Fall haben etwa die Faktencheckorganisationen “Vox Check” und “Mimikama” oder die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform bereits über die Aufnahmen berichtet. Daraus geht hervor, dass es sich ebenfalls um keinen aktuellen Vorfall handelt, sondern um einen Studierenden, der im September 2022 einen Kontrollpunkt in Schehyni an der ukrainischen Grenze zu Polen nicht verließ und daher von Zollbeamten abgeführt wurde.

Die Ukraine betreibt außerdem ein eigenes Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation. Auf seiner Website warnte die Behörde bereits am 2. Mai 2023 vor dem Video. Sie widersprach der Behauptung, es handle sich um einen während des Studiums zwangsrekrutierten Studenten, wie sie der ORF im zweiten Video des Beitrags aufgriff.

Dazu passt ein Video von BBC News Ukraine vom September 2022 (hier archiviert), in dem das Video ebenfalls vorkommt. Allerdings mit etwas anderem Kontext. Im September 2022 protestierten ukrainische Studierende, weil sie die Ukraine nicht verlassen durften, obwohl sie im Ausland studierten. Sie versammelten sich am Grenzübergang, um dagegen zu protestieren, wie auch Medien berichteten, die ebenfalls das Video verwendeten. Laut diesen Berichten handelt es sich beim Mann im Video um einen 21-jährigen Studenten, der wiederholt versuchte, das Land zu verlassen.

Der staatliche Grenzschutzdienst DPSU erinnerte am 29. September 2022 daran, dass männliche Ukrainer im Alter von 18 bis 60 Jahren Gründe vorlegen müssen, um das Land verlassen zu dürfen. Auch der Grenzschutz erwähnte einen 21-Jährigen, der wiederholt versuchte, aus der Ukraine auszureisen. Nachdem das erneut abgelehnt worden sei, weigerte sich der Mann laut DPSU den Kontrollpunkt zu verlassen und wurde abgeführt.

Im Video geht es also tatsächlich um von Sicherheitskräften durchgesetzte Regeln für wehrfähige Männer, die aufgrund des Kriegsrechts das Land nicht verlassen dürfen. Es zeigt aber keine Zwangsrekrutierung in einer Universität.

Ukrainischer Botschafter widerspricht

Vasyl Khymenets, der ukrainische Botschafter in Österreich, äußerte sich in zahlreichen Beiträgen auf X zu der Kontroverse um die beiden Videos. Am 17. August 2023 bezeichnete er den ORF-Beitrag als “Manipulation” und forderte eine Richtigstellung.

Statement von Vasyl Khymynets auf X vom 17. August 2023, Screenshot aufgenommen am 18. August 2023

Der Beitrag ist in der Mediathek des ORFs mittlerweile entfernt. “Aus rechtlichen Gründen kann dieser Teil der Sendung leider nicht gezeigt werden”, heißt es dort. Auch auf X, vormals Twitter, schrieb der ORF am 17. August 2023, dass eine nochmalige Überprüfung ergeben habe, dass die Videos aus der Ukraine nicht den “transportierten Inhalten entsprechen, was der ORF außerordentlich bedauert.”

ORF-Statement auf X vom 17. August 2023, Screenshot aufgenommen am 18. August 2023

Korrespondent Christian Wehrschütz äußerte sich am selben Tag ebenfalls via X: “In der ZiB1 zur Korruption in der Ukraine wurden Videos verwendet, die ich nicht zusätzlich überprüft habe, weil sie aus seriöser Quelle stammten. Der Fehler wird mir eine Lehre sein, der erste in 23 Jahren Korrespondent. An der Richtigkeit des Beitrags ändert der Fehler nichts!”

Botschafter Vasyl Khymynets hatte bereits in der Vergangenheit die Berichterstattung von Wehrschütz kritisiert. Der ORF-Redaktionsrat hatte damals gegen die Vorwürfe protestiert.

Fazit: Der Ursprung einer Aufnahme lässt sich oft mit einer Bildrückwärtssuche oder Suchoperatoren herausfinden. Im Fall von zwei vom ORF im August 2023 verwendeten Videos führten sie zu älteren Zwischenfällen, die keine Zwangsrekrutierungen in einem Park und einer Universität zeigen. Es zeigt einen Studenten, der an der Ausreise aus der Ukraine gehindert wurde sowie die Verhaftung eines mutmaßlichen Agenten in Odessa.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.