Humane Papillomviren (HPV) verursachen jährlich tausende Krebserkrankungen, darunter vor allem Gebärmutterhalskrebs. Eine rechtzeitige HPV-Impfung bis zum 17. Lebensjahr kann vor einer Infektion und einer eventuellen anschließenden Krebserkrankung schützen. Zum HPV-Impfstoff Gardasil kursieren jedoch immer wieder falsche Behauptungen. In sozialen Netzwerken wurde ein Video verbreitet, das behauptet, dass Gardasil angeblich Graphenoxid enthalten würde und dass diese Substanz schwere Nebenwirkungen wie Thrombose oder Herzinfarkte zur Folge hätte. Diese Behauptung ist falsch. Weder Gardasil noch ein anderer Impfstoff, der in Europa auf dem Markt ist, enthält Graphenoxid. Außerdem würde das in den Videos verwendete Mikroskop nicht ausreichen, um das Nanomaterial überhaupt zu identifizieren.
Das Video wurde seit Ende Februar auf Französisch auf Twitter, Facebook, Telegram und Vkontakte geteilt und rund 200.000 Mal angesehen.
Die Behauptung: In dem Video untersucht eine Frau, die sich selbst auf Spanisch als “Dr. Liliana Zelada, Zahnärztin in Bolivien” vorstellt, einen Tropfen Flüssigkeit unter dem Mikroskop, den sie angibt aus einer Gardasil-Ampulle entnommen zu haben. Sie wolle feststellen, “ob er mit Graphenoxid kontaminiert ist oder nicht”. Nachdem Bilder von Fäden und dunklen Flecken unter dem Mikroskop gezeigt werden, schlussfolgert sie, dass “der ganze Tropfen absolut kontaminiert ist”. Auf gelben eingeblendeten Bannern steht auf Spanisch “verursacht Thrombosen”, “Herzinfarkt” und “zerebrale Embolie”.
In dem Video wird “La Quinta Columna” erwähnt, eine spanischsprachige Webseite, die bereits in Faktenchecks von AFP erwähnt wurde, weil sie falsche Informationen zu gesundheitlichen Themen verbreitet hat.
Seit August 2022 hat Liliana Zelada außerdem andere Videos nach dem gleichen Schema veröffentlicht, in denen sie behauptet, angeblich das Vorhandensein von Graphenoxid in Impfstoffen gegen Covid-19, Polio, Grippe, Gelbfieber, Tetanus und Tuberkulose nachweisen zu können.
In einem weiteren Faktencheck hat AFP diese Aussagen bereits widerlegt. Keiner der genannten Impfstoffe enthält Graphenoxid.
Des Weiteren lässt sich mit dem in den Videos von Liliana Zelada verwendeten Mikroskop nicht feststellen, ob es sich bei den untersuchten Partikeln um Graphenoxid handelt. Die Argentinierin María Celeste Dalfovo ist Doktorin der Chemie und auf Nanomaterialien spezialisiert. In einem Gespräch mit AFP im August 2022 sagte sie: “Mit einem herkömmlichen Lichtmikroskop ist es unmöglich, die chemische Zusammensetzung dessen, was man gerade beobachtet, zu erkennen oder zu definieren.”
Celeste Dalfovo fügte hinzu: “Ein Mikroskop vergrößert lediglich die Größe eines Objekts. Aber ohne die sogenannte Raman-Technik können Sie nicht feststellen, ob es sich bei dem, was Sie sehen, um Graphen handelt.”
Weiter erklärte sie: “Bei der Raman-Technik richtet man einen Laser auf die Probe und wenn das Licht mit der Probe interagiert, erzeugt es eine Streuung, die Raman-Streuung, die ein für Graphen typisches Spektrum aufweist. Diese Technik ist die einzige, mit der sich sagen lässt, ob in der untersuchten Probe Graphen enthalten ist und wie viele Schichten es hat.”
Einer der Hersteller von Raman-Spektrometern ist Horiba Scientific. In einem Youtube-Video wird ein Beispiel der Beobachtung von Graphen mit diesen Geräten gezeigt:
Zusammensetzung von Gardasil 9 ist bekannt
In Deutschland ist der Impfstoff Gardasil 9 erhältlich, der gegenüber Gardasil noch fünf weitere HPV-Typen enthält. Gardasil 9 wird in Frankreich und Deutschland vom Labor MSD, in den USA von Merck vertrieben. Die Zusammensetzung des Impfstoffs ist öffentlich und kann beispielsweise auf der französischen Webseite für Arzneimittel Vidal und auf der Webseite der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingesehen werden. Es enthält demnach kein Graphen oder eines seiner Derivate.
Auf Anfrage von AFP bestätigte MSD am 3. März 2023, dass Graphenoxid nicht in der Zusammensetzung von Gardasil 9 enthalten sei.
Auf der Webseite von Graphene Flagship, einem europäischen Graphen-Forschungsprogramm, heißt es auf einer Seite mit Fragen rund um Graphen und Impfstoffe: “Mehrere vielversprechende medizinische Anwendungen, bei denen verschiedene Arten von Graphen oder Produkte auf Graphenbasis zum Einsatz kommen, befinden sich derzeit in der Entwicklung. Nach unserem Kenntnisstand wurde jedoch weder von der Europäischen Arzneimittelagentur noch von einer der nationalen Gesundheitsbehörden in Europa eine derartige Genehmigung oder Zulassung für die Verwendung beim Menschen erteilt.”
Weiter heißt es auf der Seite: “Die Europäische Arzneimittelagentur und die verschiedenen nationalen Agenturen begutachten regelmäßig die Herstellungsprozesse, die an der Produktion von Impfstoffen beteiligt sind. Einen oder mehrere nicht deklarierte oder nicht offengelegte Inhaltsstoffe zu integrieren, wäre nicht einfach und würde eine Verletzung der strengen gesetzlichen Verpflichtungen darstellen, denen Hersteller und Vertriebsverantwortliche unterliegen.”
Seit mehr als zwei Jahren wird in vielen viralen Beiträgen in sozialen Netzwerken behauptet, dass Corona-Impfstoffe angeblich Graphen enthalten würden. Diese Behauptungen wurden von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Faktenchecks widerlegt: hier, hier und hier.
Was ist Graphen?
Graphen besteht aus reinem Kohlenstoff und hat die Form von so dünnen Blättern, die so klein sind wie Atome. Das macht es zum kleinsten Material der Welt, erklärt Graphene Flagship auf seiner Webseite. Dennoch ist es hundert Mal belastbarer als Stahl, sehr flexibel und der beste bekannte elektrische Leiter. Graphen wurde 1947 identifiziert und erstmals 2004 im Labor isoliert. Das brachten der britisch-russische Wissenschaftler Konstantin Novoselov und sein russisch-niederländischer Kollege Andre Geim zustande, die für ihre Arbeit mit dem Nobelpreis in Physik ausgezeichnet wurden.
Graphen wird in den Medien oft als “Wundermaterial” bezeichnet und wird für die Herstellung von Sensoren mit sehr hoher Empfindlichkeit, flexiblen elektronischen Geräten, insbesondere für Autos, Flugzeuge und Satelliten untersucht. Graphen speichert sehr leicht Energie, was es zu einem beliebten Material für Autobatterien macht. Es könnte auch im Bauwesen und in der Medizin Verwendung finden, zum Beispiel als Träger für Gentherapien, Molekularmedizin oder Impfstoffe.
Emmanuel Flahaut ist Forschungsdirektor am CRNS in Toulouse, einer nationalen französischen Forschungsorganisation, die dem Forschungsministerium unterstellt ist. Flahaut arbeitet am Cirimat, dem Interuniversitären Zentrum für Materialforschung und -technik. Er erklärte gegenüber AFP am 5. März 2023: “Graphenoxid ist eine oxidierte Form von Graphen, deren Zusammensetzung nicht klar definiert ist und die je nach Art der Herstellung stark variiert.”
Aufgrund seiner Neuartigkeit und seines Potenzials ist dieses Nanomaterial immer wieder Gegenstand von Verschwörungserzählungen.
Sind Graphen und seine Derivate gefährlich? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen untersuchen dieses Thema noch. Das europäische Flagship-Programm Graphene, an dem 142 institutionelle Partner aus 23 Ländern beteiligt sind, ist insbesondere für die Bewertung ihrer potenziellen Gesundheits- und Umweltrisiken zuständig. “Unsere Arbeit hat, zumindest für die Proben, mit denen wir gearbeitet haben, Genotoxizität nachgewiesen”, erklärte Flahaut. Genotoxizität ist die Fähigkeit, Krebs oder Defekte zu verursachen, die über Generationen hinweg weitergegeben werden können.
Ein Artikel, der 2015 in der Zeitschrift des CNRS erschien, und ein weiterer, der 2022 im französischen Wirtschaftsmagazin “L’Usine Nouvelle” veröffentlicht wurde, fassten den Stand der Forschung und des Wissens über die mögliche Gefährlichkeit von Graphen zusammen. Daraus geht hervor, dass bis dato noch keine alarmierenden Ergebnisse vorliegen, die eine direkte Toxizität von Graphen belegen würden.
HPV: Verantwortlich für rund 6.000 Krebserkrankungen pro Jahr in Frankreich
Die Abkürzung HPV steht für humane Papillomviren. Es handelt sich um eine Art von Viren, über 200 Typen, von denen etwa 100 sexuell übertragbar sind, die verschiedene Infektionen der Haut und der Schleimhäute verursachen. Die überwiegende Mehrheit der sexuell aktiven Menschen infiziert sich damit im Laufe ihres Lebens. Während das Papillomvirus in den meisten Fällen gutartig ist, kann die Infektion mit bestimmten HPV-Viren bestehen bleiben und schließlich zu Krebs führen, so Santé Publique France (SPF), die staatliche französische Organisation zur öffentlichen Gesundheitspflege.
Mehr als 6000 Krebserkrankungen sind in Frankreich jedes Jahr auf eine HPV-Infektion zurückzuführen, so das dortige Nationale Krebsinstitut. Es handelt sich dabei überwiegend um Gebärmutterhalskrebs (2900 Krebserkrankungen, die jährlich mehr als 1000 Todesfälle verursachen), aber auch um Anal-, HNO-, Vulva-, Vaginal- oder Peniskrebs.
Der Impfstoff verhindert auch das Auftreten von Genitalwarzen, so die Hohe Gesundheitsbehörde Frankreichs (HAS), die im Dezember 2019 die allgemeine Einführung der Impfung für Personen beiderlei Geschlechts empfahl. Das sollte “die Übertragung in der Allgemeinbevölkerung bremsen und so Jungen und Männer unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung besser schützen, aber auch ungeimpfte Mädchen und Frauen besser schützen”.
Präsident Emmanuel Macron kündigte am 28. Februar 2023 eine Impfkampagne in den weiterführenden Schulen für Schüler der 5. Klassen an, um die Papillomviren besser bekämpfen zu können. Ab September 2023 “können die Verschreibung und die Impfung gegen HPV von Apothekerinnen und Apothekern, Hebammen und Krankenpflegepersonal durchgeführt werden”, erklärte Macron. Diese Impfung ist nicht verpflichtend und bedarf der Zustimmung der Eltern.
Die Ankündigung führte zu neuen Anti-Impf-Beiträgen in sozialen Netzwerken, wo vielfach geteilte Beiträge vor einem Impfstoff warnen, der angeblich nicht nur “unwirksam” gegen Krebs sei, sondern auch “gefährlich” aufgrund angeblich zahlreicher schwerer Nebenwirkungen. Diese Behauptungen hat AFP in einem Faktencheck widerlegt.
Unzureichende Durchimpfungsrate
Wenn die Impfung vor dem Beginn des Sexuallebens durchgeführt wird, liegt der Schutz gegen die Viren laut Santé Publique France bei nahezu 100 Prozent. In Australien ist die Quote infizierter Personen dank der Impfung von 22,5 Prozent zwischen 2005 und 2007 auf 1,5 Prozent im Jahr 2015 bei jungen Frauen zwischen 18 und 24 gesunken. Prognosen gehen davon aus, dass der Gebärmutterhalskrebs in 15 Jahren ausgerottet sein wird.
Die Impfung gegen HPV-Viren wird in Frankreich seit 2007 für Mädchen und seit 2021 auch für Jungen empfohlen. Da wird sie jedoch noch unzureichend umgesetzt.
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die HPV-Impfung bei Mädchen und Jungen ab dem Alter von 9 Jahren. Ist die Impfung noch nicht bis zum Alter von 14 Jahren erfolgt, empfiehlt die Stiko, diese noch bis zum Alter von 17 Jahren nachzuholen.
In Frankreich hatten bis Ende 2021 45,8 Prozent der 15-jährigen Mädchen eine Dosis und 37,4 Prozent der 16-jährigen Mädchen die vollen zwei Dosen erhalten, so die Zahlen der SPF. Von den Jungen hatten 6 Prozent mit 15 Jahren eine Dosis erhalten.
Diese Zahlen sind weit entfernt von dem “Ziel von 60 Prozent laut Krebsplan 2014-2019”, stellte die SPF fest. Die Impfquote scheint zu den niedrigsten in Europa zu gehören, während in Ländern wie Finnland, Ungarn, Norwegen, Spanien, dem Vereinigten Königreich und Schweden über 70 Prozent der Jugendlichen geimpft sind.
Keine schweren Nebenwirkungen
Der Impfstoff Gardasil 9 hat nach Angaben der Gesundheitsbehörden keine schweren Nebenwirkungen. Laut der Europäischen Arzneimittelagentur sind seine wesentlichen Nebenwirkungen: “Reaktionen an der Einstichstelle (Rötungen, Schmerzen, Schwellungen) und Kopfschmerzen”.
Die im Video erwähnten Thrombosen, Herzinfarkte und zerebralen Embolien gehören nicht zu den bekannten Nebenwirkungen von Gardasil 9. Diese sind in der Stellungnahme der Transparenzkommission der französischen Gesundheitsbehörde HAS vom 19. Februar 2020 aufgelistet.
Im Jahr 2015 erwähnte die ANSM in einer gemeinsam mit einer Krankenkasse durchgeführten Studie, dass “eine Erhöhung des Risikos für das Guillain-Barré-Syndrom nach der Impfung gegen HPV-Infektionen allerdings wahrscheinlich erscheint”. Ein bis zwei von 100.000 geimpften Mädchen erkranken.
Dieses seltene Syndrom kann “zu Muskelschwäche und Gefühlsverlust in Armen und / oder Beinen führen”, erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und weist darauf hin, dass “die meisten Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom sich vollständig erholen, selbst in den schwersten Fällen”.
Jean-Luc Prétet, Leiter des französischen Referenzzentrums für Papillomviren, sagte im Februar 2022 gegenüber AFP, dass “dieses Risiko in anderen, weltweit durchgeführten Studien nicht gefunden” wurde, “was dazu führt, diese Beobachtung in Frage zu stellen”.
Mehrere Kontroversen haben allerdings den Ruf des Impfstoffs Gardasil beschädigt. Im Jahr 2015 veröffentlichte die französische Ausgabe der Nachrichtenseite “Slate” eine Untersuchung zu diesem Thema und kritisierte die Bedingungen, unter denen die klinischen Tests durch Merck durchgeführt wurden. Die Untersuchung sagte aber auch, dass es “keine Beweise dafür gibt, dass der HPV-Impfstoff gefährlich ist und vermieden werden sollte”.
2013 reichten mehrere Französinnen, die Opfer mutmaßlich schädlicher Auswirkungen von Gardasil geworden waren, eine Klage gegen Unbekannt wegen “fahrlässiger Körperverletzung und schwerer Täuschung” ein. Laut der damaligen Anwältin von neun der Klägerinnen hatten die jungen Frauen zwischen 18 und 24 Jahren gemein, “dass sie sich in den Wochen und Monaten nach der Impfung stark beeinträchtigende Krankheiten zugezogen haben, obwohl sie keine Vorerkrankungen hatten”. Diese Klage wurde jedoch im Oktober 2015 von der Pariser Staatsanwaltschaft mit der Begründung abgewiesen, dass kein direkter Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den Erkrankungen des Nervensystems nachgewiesen werden konnte.
AFP befragte Francesco Salvo, Leiter des Zentrums für Pharmakovigilanz im französischen Bordeaux am 5. Januar 2023 zu den neurologischen und Autoimmunerkrankungen, die von Kritikerinnen und Kritikern als angebliche Folgen des Impfstoffs angeführt werden. Er sagte dazu, dass zahlreiche Studien “das Risiko neurologischer Erkrankungen nach mehreren Impfungen untersucht haben, ohne ein erhöhtes Risiko zu finden”.
Fazit: Weder Gardasil noch ein anderer in Europa verwendeter Impfstoff enthalten Graphen. Das bestätigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegenüber AFP. Zur Erkennung des Materials wären die im verbreiteten Video verwendeten Mikroskope zudem nicht geeignet.