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Noch kein Sieger in Rechtsstreit der Ukraine gegen Russland

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Author(s): dpa

Angeblich hat der Internationale Gerichtshof die Ukraine verurteilt. Und angeblich hat das Gericht schon 2024 alle Anschuldigungen der Ukraine gegen Russland «vollständig zurückgewiesen».Nutzer sozialer Netzwerke in Luxemburg teilen ein Sharepic, in dem behauptet wird: «Ukraine vom internationalen Gerichtshof verurteilt». Ein FB-Post aus Österreich verbindet dieses Sharepic mit einem Text, der weitere Falschbehauptungen enthält.

Bewertung

Die Behauptung des Sharepics ist falsch. Die Ukraine ist nicht verurteilt worden. Auch die Behauptungen über das angebliche Urteil von 2024 sind falsch.

Fakten

Die Behauptung, dass die Ukraine vom Internationalen Gerichtshof (ICJ) verurteilt worden sei, stimmt schon deswegen nicht, weil es in dem fraglichen Verfahren keine Angeklagten und auch keine Verurteilten gibt. Tatsächlich hat der Internationale Gerichtshof lediglich über die Auslegung der Verfahrensordnung entschieden.

Und zwar anhand der Frage, ob eine Gegenklage Russlands als Antwort auf eine Klage der Ukraine gegen Russland zulässig sei. Der Gerichtshof hat am 5. Dezember beschlossen, dass diese Gegenklage zulässig sei und damit Russland recht gegeben.

Klage und Gegenklage

Diese Gegenklage soll die Antwort Russlands auf eine Klage der Ukraine sein, die die Regierung in Kiew am 26. Februar 2022 beim Internationalen Gerichtshof eingereicht hat. Die Ukraine verlangte in ihrer Klage eine Feststellung, dass russische Behauptungen über einen ukrainischen Völkermord in den Regionen Luhansk und Donetsk falsch seien. Das Gericht solle auch feststellen, dass Russland keinerlei Grund habe, seine «spezielle Militäroperation gegen die Ukraine mit dieser Behauptung zu begründen».

Gegen diese Klage hat Russland am 18. November 2024 eine Gegenklage eingereicht. Darin wird das Gericht unter anderem aufgefordert, festzustellen, dass die Ukraine für Völkermord verantwortlich sei. Die Zulässigkeit der Gegenklage wurde wiederum von der Ukraine bestritten. Das Gericht musste also entscheiden, ob es nur über die Klage der Ukraine, oder auch über die Gegenklage Russlands zu entscheiden hat. Das Gericht entschied, dass die formalen Voraussetzungen, die für eine Gegenklage gelten, erfüllt seien.

Inhalt der Gegenklage wird später beurteilt

In der Schlussfolgerung seiner 22 Seiten umfassenden Entscheidungsbegründung betont das Gericht aber: «Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Gegenklage unter Berücksichtigung der Anforderungen von Artikel 80 seiner Verfahrensordnung in keiner Weise andere Fragen präjudiziert, mit denen sich der Gerichtshof im weiteren Verlauf des Verfahrens befassen müsste.»

Anders ausgedrückt: Die Entscheidung über die Auslegung der Verfahrensordnung hat nichts mit der strittigen Sachfrage zu tun. Eine Entscheidung ist so schnell nicht zu erwarten: Die Entscheidung vom 5.Dezember 2025 gibt Russland bis zum 7. Dezember 2027 Zeit zu einer erneuten Antwort auf eine mögliche Reaktion der Ukraine.

In etwas kürzerer Form wird diese Entscheidung auch in einer Pressemitteilung des Gerichtshofes vom 8. Dezember 2025 erläutert.

Falschbehauptung zu juristischem Pingpong-Spiel

Das russische Außenministerium veröffentlichte am 5. Dezember 2025 eine Pressemitteilung, in der die Verfahrensentscheidung zur Zulassung der Gegenklage mitgeteilt wird. Zugleich wurde dort behauptet: «Am 1. Februar 2024 fällte der Internationale Gerichtshof eine Entscheidung, in der sämtliche Vorwürfe der Ukraine gegen Russland vollständig zurückgewiesen wurden. Zur weiteren Behandlung durch das Gericht blieb nur eine Frage übrig – ob die Ukraine selbst Völkermord begangen hat.» Diese Behauptung findet sich ebenso wie andere Behauptungen des Moskauer Außenministeriums leicht verändert auch in dem Facebook-Post.

Diese Behauptung ist allerdings falsch. Nicht nur deswegen, weil es am 1. Februar 2024 ausweislich des Kalenders der Vereinten Nationen überhaupt keine Gerichtsentscheidung und daher auch kein Urteil gegeben hat. Allerdings gab es einen Tag vor und einen Tag nach diesem Datum jeweils eine Gerichtsentscheidung, die in der Erklärung des russischen Außenministeriums gemeint sein könnte. Ganz eindeutig ist das aber nicht. Jedenfalls würde die Behauptung auch dadurch nicht richtiger.

Der Gerichtshof hatte nämlich am 2. Februar 2024 über Einwendungen Russlands gegen die von der Ukraine am 26. Februar 2022 eingereichte Klage über den Vorwurf des Völkermordes im Osten des Landes entschieden. Russland hatte unter anderem die Zuständigkeit des Gerichtshofes und die Zulässigkeit der Klage bestritten. Der Gerichtshof entschied zu diesen Einwendungen, dass die Klage der Ukraine zulässig sei. Der Einwand Russlands wurde daher zurückgewiesen.

Das Gericht stimmte aber dem russischen Einwand zu, es könne nicht darüber entscheiden, ob die russische Invasion der Ukraine und die Anerkennung der sogenannten Republiken Donetsk und Luhansk ebenfalls gegen die Völkermordkonvention verstoße.

Das andere Urteil vom 31. Januar 2024, das vom Internationalen Gerichtshof in zeitlicher Nähe zu dem vom Außenministerium in Moskau fälschlicherweise behaupteten Zeitpunkt 1. Februar 2024 gefällt wurde, ging nicht gut für Russland aus. Hier ging es um eine Klage, die im Januar 2017 von der Ukraine eingereicht worden war. Die Ukraine hatte Russland beschuldigt, gegen die internationale Konvention zur Unterdrückung der Finanzierung von Terrorismus (ICSFT) von 1999 und gegen die internationale Konvention über die Beseitigung aller Formen der rassischen Diskriminierung (CERD) von 1965 verstoßen zu haben.

Urteil vom 31. Januar 2024 gibt Ukraine recht

Der Internationale Gerichtshof gab der Ukraine im Wesentlichen recht. In den Gebieten von Luhansk und Donetsk habe Russland gegen die ICSFT verstoßen, indem es Hinweisen der Ukraine auf die Unterstützung von Terrorgruppen nicht nachgegangen sei. Außerdem habe Russland gegen die CERD verstoßen, indem es in der besetzten Krim den Unterricht in ukrainischer Sprache verboten und die Arbeit der Vertretung der Krimtataren behindert habe.

Beide Urteile widersprechen jedenfalls der Behauptung, der Internationale Gerichtshof habe Anfang Februar 2024 «eine Entscheidung, in der sämtliche Vorwürfe der Ukraine gegen Russland vollständig zurückgewiesen wurden», getroffen.

Zutreffend ist hingegen, dass der Internationale Gerichtshof bereits am 16. März 2022, also kurz nach dem Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine, die Regierung in Moskau zum sofortigen Ende der «militärischen Spezialoperation» in der Ukraine aufgefordert hat. In einer einstweiligen Anordnung (Order) wurde Russland aufgefordert, alle militärischen Aktivitäten in der Ukraine sofort einzustellen. Russland hat diese Anordnung bisher ignoriert.

(Stand: 16.12.2025)

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