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Nein, 25 Quadratkilometer zusätzlicher Wald reichen nicht aus, Deutschlands CO2-Emissionen zu kompensieren

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Author(s): Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland

Bäume können CO2-Emissionen je nach Art und Gewicht unterschiedlich gut absorbieren und speichern. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erklärte auf dieser Grundlage in einer Talkshow, dass angeblich nur 25 Quadratkilometer zusätzlicher Wald in Deutschland die gesamten jährlichen CO2-Emissionen kompensieren könne. So müsse für den Klimaschutz nicht auf das Autofahren verzichtet werden. Expertinnen und Experten und Daten widersprechen dieser Behauptung allerdings. 2021 zählten die Behörden in Deutschland etwa 11 Millionen Hektar Wald. Das reicht lediglich, um sieben Prozent der jährlichen Treibhausgase zu kompensieren.

User in sozialen Netzwerken teilen einen Ausschnitt einer Talkshow, in dem der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger die Behauptung aufstellt. Zehntausende User haben den Ausschnitt auf Instagram gelikt. Auf Telegram erreichte das Video ebenfalls Zehntausende. Auf Twitter und Facebook teilten nur wenige die Falschbehauptung.

Die Behauptung: User teilen das Aiwanger-Video, in dem er sagt, dass ein Baum pro Kubikmeter Holz eine Tonne Kohlendioxid (CO2) aufnehme und grob überschlagen “mit 25 Quadratkilometer zusätzlicher Waldfläche den jährlichen CO2-Ausstoß Deutschlands eliminiert”. “Also ich pflanze doch lieber ein paar Quadratkilometer Bäume und darf trotzdem noch Autofahren”, schlussfolgerte er.

Screenshot der Behauptung auf Instagram: 24. Januar 2023

Die Debatte, wie und ob Maßnahmen gegen den menschengemachten Klimawandel getroffen werden müssen, wird seit Jahren hitzig geführt. Dabei hat AFP bereits verschiedene falsche Narrative überprüft. Immer wieder wurde behauptet, einen ungewöhnlichen und drastischen Klimawandel gebe es überhaupt nicht, andere behaupteten, der Klimawandel sei nicht menschengemacht und Maßnahmen dagegen könnten den Klimawandel nicht verhindern. AFP sammelt alle Faktenchecks zum Thema Klima hier.

Ein weiteres Narrativ, das auch von Aiwanger in der Talkshow verbreitet wird, ist das Verschieben nötiger Maßnahmen. So wird immer wieder behauptet, verhältnismäßig unaufwendige Maßnahmen würden klimaschädliche Auswirkungen kompensieren, sodass niemand den Lebensstil ändern müsse.

BR-Talkshow “Münchner Runde” von 2019

AFP hat mithilfe einer Videorückwärtssuche mit dem auf Facebook geteilten Ausschnitt die Quelle des Clips gefunden. Es stammt aus dem Talkformat “Münchner Runde” des Bayerischen Rundfunks (BR). Bereits am 30. Oktober 2019 diskutierten vier Gäste über höhere Kosten und Einschränkungen für den Autoverkehr. Nach etwa 37 Minuten stellt der bayerische Wirtschaftsminister tatsächlich die auf Facebook geteilte Behauptung auf. Widerspruch zu den genannten Zahlen bekommt er in der Sendung nicht.

In sozialen Netzwerken bezweifeln jedoch einige User in den Kommentarspalten zum geteilten Video die Behauptung. AFP hat sich die Behauptung genauer angeschaut.

Bäume als natürliche CO2-Speicher

Grundsätzlich stimmt es, dass Pflanzen CO2, auch Kohlenstoffdioxid genannt, nutzen, um zusammen mit Wasser und Lichtenergie durch Photosynthese Kohlenhydrate und Sauerstoff zu produzieren. Mit Hilfe der Photosynthese halten sie Kohlenstoff aus der Luft in ihren Blättern, Stängeln, Stämmen und Wurzeln fest und schaffen so natürliche Kohlenstoffspeicher. Erst wenn Bäume zersetzt werden, gibt ihr Holz das CO2 wieder ab.

Auf AFP-Anfrage erklärte Cathleen Rieprich, Sprecherin des Umweltbundesamtes (UBA), am 24. Januar 2023, die Speicherkapazität der Bäume hänge im Einzelnen von mehreren Faktoren ab. “Sie ist abhängig von der Holzmasse und der Dichte. Je schwerer das Holz, desto mehr CO2 wird gespeichert”, erklärte sie. Auch das Alter der Bäume, die geografische Lage und die Baumart spielen eine wichtige Rolle. Buchen, Eichen und Birken würden mehr CO2 aufnehmen als Fichten, Tannen und Schwarzpappeln.

Michael Köhl vom Institut für Holzwissenschaft der Universität Hamburg erklärte außerdem am 24. Januar 2023, dass bewirtschaftete, also wachsende Wälder, langfristig mehr CO2 binden würden als wirtschaftlich ungenutzte Wälder. “Nicht bewirtschafteter Wald gerät mit der Zeit in einen Gleichgewichtszustand, in dem der Biomasseaufbau dem Biomasseabbau entspricht. In diesem Gleichgewichtszustand wird kein zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre gebunden”, sagte er. Auch Totholz bindet das bereits aufgenommene CO2.

Der bayerische Minister Aiwanger behauptete in der Talkshow, dass ein Baum in einem Kubikmeter Holz etwa eine Tonne CO2 aufnehmen könne. Cathleen Rieprich und Michael Köhl bestätigten auf AFP-Nachfrage, das sei trotz der bereits erwähnten Faktoren als “Faustformel” durchaus annehmbar.

25 Quadratkilometer Wald kompensieren nicht den jährlichen CO2-Ausstoß Deutschlands

In Deutschland hat das Thünen-Institut zuletzt im Jahr 2017 eine Bundeswaldinventur in Deutschland durchgeführt. Demnach gibt es in ganz Deutschland etwa elf Millionen Hektar Wald. Pro Hektar wachsen etwa 9.033 Bäume verschiedener Arten. Dabei würden laut UBA-Sprecherin Rieprich allerdings auch sehr dünne Bäume gezählt.

Laut Bundeswaldinventur speicherte die gesamte “lebende Biomasse” der Wälder 2017 von Kohlenstoff in Kohlenstoffdioxid umgerechnet etwa 4.514,1 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich Daten des Umweltbundesamtes: Das entspricht etwa 0,7 Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands im Jahr 2021.

Thomas Riedel, Leiter der Bundeswaldinventur am Thünen-Institut, erklärte auf Nachfrage nach der Behauptung am 24. Januar 2023 gegenüber AFP: “Will man emittiertes CO2 durch Wald-Neubegründungen in Holz binden, muss man Bäume pflanzen. Um etwa eine Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr in Neuaufforstungen zu binden, müsste man jährlich etwa eine Fläche von 364 Millionen Hektar Wald neu pflanzen. Das entspricht 3,64 Millionen Quadratkilometern.”

Deutschland hat eine Fläche von 357.000 Quadratkilometern. Um Aiwangers Behauptung wirklich umzusetzen, bräuchte man jährlich die zehnfache Fläche von ganz Deutschland. Der Wirtschaftsminister spricht allerdings lediglich von 25 Quadratkilometern, also 2500 Hektar Wald.

Michael Köhl von der Universität Hamburg sagte gegenüber AFP: “Nein, die gesamten Emissionen werden nicht kompensiert.”

Auch Rieprich vom UBA widersprach Aiwangers Behauptung: “Stellt man die Werte der freigesetzten CO2-Emissionen für Deutschland und der CO2-Einbindung für 25 Quadratkilometer gegenüber, zeigt sich, dass eine Kompensation der CO2-Emissionen nur mit Waldflächen nicht möglich ist.”

AFP hat am 25. Januar 2023 bei Hubert Aiwangers Wirtschaftsministerium in Bayern nach der Behauptung gefragt. Bis zur Veröffentlichung hat das Ministerium kein Kommentar zu der Behauptung gegeben.

Wälder geben CO2 auch wieder ab

Wälder sind als CO2-Speicher keine Garantie. Sobald Bäume zersetzt werden, langfristig auch natürlich, dann wird das CO2 wieder freigegeben. Das geschieht auch bei Waldbränden, die in den vergangenen Jahren unter anderem wegen des trockenen Klimas zugenommen haben. Allein 2022 sind etwa 4300 Hektar Wald in Deutschland verbrannt.

Darüber hinaus werden Wälder in Deutschland teilweise auch gerodet. So wurden Mitte Januar 2023 2,2 Hektar Wald im Fechenheimer Wald bei Frankfurt am Main für eine Autobahnverlängerung gefällt und zu Spänen verarbeitet.

Fazit: Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger behauptete in einer Talkshow, dass 25 Quadratkilometer zusätzlicher Wald, also 2500 Hektar, in Deutschland den gesamten CO2-Ausstoß des Landes kompensieren können. Laut Expertinnen und Experten speichern Wälder zwar tatsächlich CO2, brauchen für solche Mengen allerdings viel mehr Platz – etwa die zehnfache Fläche Deutschlands jährlich.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.