Nutzerinnen und Nutzer haben Ende März in sozialen Netzwerken die Behauptung geteilt, wonach ein “Mob ukrainischer Flüchtlinge” einen 16-jährigen Jungen in Euskirchen in Nordrhein-Westfalen getötet haben soll. Die Urheberin der Behauptung hat sich mittlerweile für die Falschinformation entschuldigt. Die Polizei dementierte die angebliche Tat ebenfalls, einen gewalttätigen Übergriff oder gar Todesfall habe es nicht gegeben. Der Stadt Euskirchen, genauso wenig wie einem Verein Russlanddeutscher ist kein solcher Vorfall bekannt.
Rund eineinhalb Minuten ist das Video lang, in dem sich eine Frau an die russischsprachige Gemeinschaft in Deutschland wendet, um die Schilderung einer Freundin zu verbreiten. Auf Russisch erzählt sie, dass ein 16-jähriger Junge namens Daniel in Euskirchen bei Köln von einer Menge ukrainischer Flüchtlinge so stark verprügelt worden sei, dass er ins Koma fiel und schließlich starb. Hunderttausende sahen die Behauptung auf Telegram, Dutzende User verbreiteten sie auf Facebook.
Die Behauptung: “In der deutschen Stadt Euskirchen bei Köln hat ein Mob ukrainischer Flüchtlinge einen 16-jährigen Freiwilligen zu Tode geprügelt, der in einem Flüchtlingsheim aushalf. Der Junge hat sich ‘schuldig’ gemacht, Russisch zu sprechen”, fassen die Postings die Erzählung zusammen. “Ich fürchte, das ist nur der Anfang”, endet das Posting.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar befinden sich mehr als 3,4 Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht in andere Länder, zusätzlich zu Vertriebenen innerhalb der Ukraine. In sozialen Netzwerken verbreitet sich seither eine Vielzahl falscher oder irreführender Behauptungen zum Krieg in der Ukraine. AFP sammelt Faktenchecks im Kontext des Kriegs in der Ukraine hier.
Dementis von mehreren Seiten
Auf das aktuell verbreitete Video reagierte die zuständige Polizei in Bonn am 20. März 2022 mit einer Pressemitteilung sowie mit Hinweisen auf Facebook und Twitter. Darin heißt es: “Der für Kapitalverbrechen im Bereich Euskirchen zuständigen Polizei Bonn liegen keinerlei Informationen über einen solchen gewalttätigen Übergriff oder gar über einen Todesfall vor.”
Auf AFP-Anfrage bestätigte Frank Piontek von der Polizei Bonn am 21. März telefonisch, dass auch keine ähnlichen Vorfälle bekannt seien. Auch das Innenministerium warnte auf Twitter vor der kursierenden Falschinformation: “Eine solche Tat ist uns nicht bekannt.”
AFP hat außerdem bei der Stadt Euskirchen nachgefragt. Sprecherin Silke Winter schrieb am 21. März: “Von einem solchen Vorfall ist mir nichts bekannt, auch nicht von ähnlichen Vorfällen.”
Die “Landsmannschaft der Deutschen aus Russland” ist ein Verein, der sich für die Interessen von Russlanddeutschen in Deutschland einsetzt. Der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Landesgruppe, Dietmar Schulmeister, kannte das aktuell verbreitete Video bereits. In einem Telefonat mit AFP am 21. März erklärte er: “Das ist einer von vielen Fällen, wo versucht wird, Einfluss auf die russlanddeutsche und russischsprachige Gemeinschaft zu nehmen.” Den geschilderten Vorfall habe es aber nicht gegeben. Übergriffe auf russischsprachige oder auch nur vermeintlich Russisch sprechende Menschen habe es in den letzten Wochen aber tatsächlich gegeben.
Urheberin stellt richtig
Nicht nur offizielle Stellen wiesen die Behauptung als unbelegt zurück, auch die Urheberin des geteilten Videos selbst hat sich mittlerweile in einer zweiten Aufnahme zu Wort geäußert. In einem weiteren Video entschuldigte sie sich für das Verbreiten der Falschinformation: “Ich möchte mich bei allen, die mein Video gesehen haben, dafür entschuldigen, dass es sich als falsch herausgestellt hat.” Und weiter: “Ich habe es selbst einfach geglaubt, so von Herzen geglaubt, dass ich keine Fakten gebraucht habe, keine Fotos, keine Bestätigungen, verstehen Sie. Ich möchte, dass ihr nicht auch solche Fehler macht wie ich.”
Auch zahlreiche lokale und überregionale Medien berichteten über die Falschinformation (hier, hier, hier).
Fazit: Für das angebliche Verbrechen ukrainischer Flüchtenden in Euskirchen gibt es keine Belege. Der Polizei Bonn liegen keine Informationen zu einem gewalttätigen Übergriff oder gar Todesfall vor. Die Urheberin der Behauptung entschuldigte sich mittlerweile für die Verbreitung der Falschinformation.