
Nein, die Europäische Union ist absolut zahlungsfähig. Auch Behauptungen aus einem alten Interview über europäische Rentenfonds erweisen sich bei näherer Betrachtung als falsch.
Einen Anhaltspunkt für die Behauptung, die EU stehe vor der Pleite, könnten die Einstufungen der Agenturen Moody’s, Fitch und Standard&Poors geben. Sie bewerten regelmäßig, wie kreditwürdig ein Land ist.
Ein Blick auf die aktuellen Ratings der G20-Staaten zeigt, dass dort neben Australien und Kanada vor allem Deutschland, die Niederlande, die Schweiz und Schweden Spitzenbewertungen haben. Die Europäische Union als Staatenverbund rangiert noch knapp vor den USA. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in einem anderen Vergleich.
Die Rating-Agenturen gehen also davon aus, dass die Europäische Union und wichtige Mitgliedstaaten absehbar in der Lage sind, ihnen gewährte Kredite zurückzuzahlen. Die Behauptung, die EU sei pleite und versuche, mit einem Krieg diese Tatsache zu vertuschen, ist also schon aus diesem Grund falsch.
Woher stammt die falsche Behauptung?
Armstrong ist in den USA bekannt, weil er behauptet, ein Computermodell entwickelt zu haben, welches die Vorhersage von großen Wirtschaftskrisen (alle 8,6 Jahre) und auch Kriegen ermöglicht. Er ist als Selfmade-Wirtschaftsexperte ein häufiger Interviewpartner in jenen US-Medien, die der Verschwörungsszene nahestehen.
Armstrong wurde 2011 nach insgesamt elf Jahren Haft freigelassen. Davon entfielen sieben Jahre auf Haft wegen Missachtung des Gerichts, weil er sich nach Ansicht der Behörden weigerte, Goldbarren und andere Gegenstände im Wert von 15 Millionen US-Dollar herauszugeben. Fünf Jahre Haft erhielt er, nachdem er gestand, Millionenverluste bei einer Art Schneeballsystem vertuscht zu haben. Er betreibt jetzt ein eigenes Beratungsunternehmen, Armstrong Economics.
Das in dem Facebook-Post verbreitete Video stammt von der Webseite Auf1 und wurde auch anderswo geteilt, beispielsweise auf der Plattform X. In dem Video sagt Armstrong, «Europa mit seinen Negativzinsen» habe «alle Rentenfonds verdampft» (0:08). «Es gibt keinen einzigen Rentenfonds in Europa, der beim derzeitigen Stand der Dinge solvent ist.» In Wirklichkeit breche gerade die «europäische Regierung» zusammen (0:30). Dies drohe Proteste auszulösen: «Um das zu vermeiden, brauchen sie einen Krieg.» (0:44)
Negativzinsen sind Vergangenheit
Der Hinweis auf die Negativzinsen zeigt schon, dass Armstrongs Äußerungen nicht aktuell sein können. Tatsächlich wurde das Video erstmals am 12. April 2022 auf der Webseite USA Watchdog veröffentlicht. Es handelt sich um ein etwa einstündiges Gespräch mit dem Gründer von USA Watchdog, Greg Hunter.
Damals, knapp zwei Monate nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vom 24. Februar 2022, gab es in der Tat noch Negativzinsen im Euro-Raum. Im Juli 2012 war der Zins der Europäischen Zentralbank (EZB) für Einlagen erstmals auf 0,0 Przent gesunken. Danach fiel er in den negativen Bereich und erreichte im September 2019 minus 0,5 Prozent. Erst im Juli 2022 stieg er wieder auf 0 Prozent und erreichte Ende 2022 die Marke von 2 Prozent.
Rentenfonds sind in Europa unterschiedlich organisiert. Sie legen Geld von Arbeitnehmern an den Anleihe- und Aktienmärkten an, um später aus den Renditen dieser Investitionen Renten bezahlen zu können. Es gibt viele private Rentenfonds, in einigen Ländern gibt es auch große staatliche Fonds. Niedrige Zinsen bedeuten grundsätzlich eine Belastung für Rentenfonds, weil die Erträge darunter leiden. Allerdings sind alle Fonds so konstruiert, dass schlechte Ergebnisse in einzelnen Jahren nicht zum Ausfall von Renten führen können.
Rentenfonds überstanden Negativzinsen
Die Negativzins-Phase führte entgegen den Behauptungen von Armstrong nicht dazu, dass sämtliche Rentenfonds «verdampft» seien oder dass es überhaupt keine solventen Rentenfonds in Europa mehr gebe. Ein Bericht der OECD über die Entwicklung der Rentenfonds im Jahr 2022 – also jenem Jahr, in dem die Negativzinsen langsam verschwanden und die Zinsen wieder ins Positive drehten – zeichnete ein differenziertes Bild von der Lage der Rentenfonds.
Es habe in den meisten Ländern negative reale Renditen gegeben. Der Kursrückgang von Anleihen und Aktien habe zu nominalen Anlageverlusten geführt. Hohe Inflationsraten hätten diese Dynamik noch verschärft. Starke Bewertungsgewinne aus den Vorjahren hätten jedoch die Auswirkungen dieser «negativen Renditen» auf die «langfristige Performance» der Rentensysteme abgefedert.
Auch die Behauptung, keiner der Pensionsfonds in der EU sei noch solvent, hält einer Überprüfung nicht stand. Wären die Pensionsfonds wirklich «verdampft» oder insolvent, hätte deren Zahl deutlich abnehmen müssen. Davon kann aber keine Rede sein. Nach Angaben der Europäischen Zentralbank veränderte die Zahl der Pensionsfonds in der Eurozone von 14.682 Ende 2020 über 14.484 (Ende 2021) und 14.740 (Ende 2022) auf 14.644 zum Jahresende 2023. Sie ist also mit einer Delle im Jahr 2021 in etwa gleich geblieben.
Die Behauptung, dass die EU «pleite» sei, ist also auch mit der fantasievollen Schreckenserzählung über angeblich zusammengebrochene Pensionsfonds nicht zu belegen.
(Stand 15.4.2025)