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Ukrainische Post bezeichnet Briefmarke mit SS-Veteranen als Fälschung

Ukrainische Post bezeichnet Briefmarke mit SS-Veteranen als Fälschung - Featured image

Author(s): Till EICHENAUER / Maja CZARNECKA / AFP Polen

Im September 2023 kam es in Kanada zu einem Eklat, nachdem das dortige Parlament während eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen ehemaligen ukrainischen SS-Soldaten geehrt hatte, der im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Nazis gekämpft hatte. In diesem Zusammenhang erschienen in den sozialen Medien Beiträge in mehreren Sprachen, darunter auch auf Deutsch, die fälschlicherweise behaupteten, die ukrainischen Post hätte eine Briefmarke mit dem Bildnis dieses Mannes, Jaroslaw Hunka, herausgegeben. Diese Briefmarke ist jedoch eine Fälschung, wie ein abgebildeter Strichcode zeigt, der in Wirklichkeit zu einem anderen Produkt gehört. Zudem haben die ukrainische Post und ein von AFP besuchtes Postamt in Kiew bestätigt, dass es keine solche offizielle Briefmarke gibt.

“Die Ukrainische Post veröffentlicht Briefmarken mit Jaroslaw Hunks, dem von Trudeau in Kanada geehrten SS-Nazi aus Galizien”, heißt es in einem Beitrag vom 30. September 2023 auf Facebook. Dort wird eine Briefmarke gezeigt, auf der das Gesicht von Jaroslaw Hunka zu sehen ist, einem ukrainischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs, der an der Seite der Nazis gekämpft hatte. Das gleiche Bild wurde auf X (ehemals Twitter) und Telegram gepostet, wo es mehr als 70.000 Aufrufe erhielt.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 19. Oktober 2023

Ähnliche Veröffentlichungen sind in russischer Sprache aufgetaucht. Auch auf Englisch, Französisch und auf Niederländisch wurde die Behauptung verbreitet. Faktenchecks von AFP zum Ukrainekrieg sind hier gesammelt.

Am 22. September 2023 wurde Jaroslaw Hunka, ein 98-jähriger Ukrainer, zum Gegenstand eines politischen Skandals im kanadischen Parlament.

Der ukrainische Präsident Selenskyj war als Staatsgast im Plenarsaal. Während des Besuchs bezeichnete, Anthony Rota, der zu diesem Zeitpunkt noch Parlamentspräsident war, den anwesenden Hunka als Helden des Zweiten Weltkriegs, woraufhin dieser mit stehendem Applaus geehrt wurde.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Hunka in der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS gedient hatte, die auch als Waffen-SS-Division Galizien bekannt ist. Es sei “eine militärische Einheit der Nazis, deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Holocausts gut dokumentiert sind”, so das Simon Wiesenthal Center.

Der Vorfall veranlasste den Parlamentspräsidenten Rota zum Rücktritt und löste diplomatische Spannungen aus. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau entschuldigte sich bei den Opfern des Holocausts für den Vorfall. Einige Tage später tauchten Bilder einer angeblichen Briefmarke mit dem Bild von Hunka im Netz auf.

Einem Screenshot zufolge, der unter anderem von dem Desinformationsexperten Eliot Higgins, dem Gründer des Recherchekollektivs Bellingcat, gepostet wurde, veröffentlichte auch die russische Botschaft in London am 26. September das gefälschte Briefmarkenbild. Später war es auf dem Konto der Botschaft nicht mehr zu sehen und auch in Internetarchiven nicht mehr zu finden.

Auf der offiziellen Seite der ukrainischen Post Ukrposhta wird eine solche Briefmarke derzeit nicht angeboten. AFP konnte auch im regulären Verkauf in einem Postamt in Kiew keine solche Marke kaufen. In sozialen Netzwerken kommentierten User ebenfalls, dass es die Briefmarke nicht gebe.

Alle offiziellen Briefmarken der Ukrposhta sind auf der Website (hier archiviert) des Postamtes erhältlich, darunter auch die Sondersammlung anlässlich des Kriegs. Nach dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 wurden solche Kriegsmarken regelmäßig für Sammler ausgegeben. Die angebliche Briefmarke ist weder auf dieser Seite zu finden, noch auf archivierten Versionen der Seite, die am 26. und 28. September 2023, kurz nach dem Vorfall in Kanada, erstellt wurden.

Zudem fällt auf, dass ein Aufdruck des Landesnamens, den jedes Land (außer Großbritannien) auf seine Briefmarken drucken muss, fehlt. Auf ukrainischen Briefmarken erscheint der Name des Landes in kyrillischer Schrift “Україна” und “Ukraina” in lateinischer Schrift, wie auf den Beispielen unten zu sehen. Nichts davon erscheint auf der falschen Briefmarke. Die einzige Inschrift in kyrillischer Schrift lautet “Jaroslaw Hunka —  ein Held der Ukraine” (Ярослав Гунька – герой України).

Screenshot von Facebook (links) eines ukrainischen Beitrags, aufgenommen von AFP am 9. Oktober 2023 und zwei echte Briefmarken mit Motiven aus dem Krieg (rechts)

Strichcode von einer anderen Briefmarke

Zudem hat jede Briefmarkenserie ihren eigenen Strichcode. Die Serie “Frei, unzerbrechlich, unbesiegbar” etwa trägt den Code 4823027150765, “Guten Abend, wir sind aus der Ukraine!” trägt den Code 4823027150628, “Ruhm den Streitkräften der Ukraine!” 4823027150864, und “Dog Patron” 4823027150727.

Wenn man das Bild mit der falschen Briefmarke vergrößert, kann man den Strichcode auf der rechten Seite lesen: 4823027150765. Bei der Suche nach dieser Nummer auf barcodelookup.com, einem speziellen Tool, mit dem man herausfinden kann, worauf sich ein Strichcode bezieht, fanden wir eine andere Briefmarke, “Frei, unzerbrechlich, unbesiegbar”, aus dem Jahr 2022, die etwa auf der Verkaufsplattform Ebay erhältlich ist. Dieselbe Briefmarke mit demselben Strichcode kann man direkt auf der Website (hier archiviert) von Ukrposhta finden. Die Briefmarke zeigt das Bild eines Soldaten, nicht von Jaroslaw Hunka.

Screenshot von Facebook (links) eines englischen Beitrags, aufgenommen von AFP am 9. Oktober 2023. Die Marke (rechts) “Frei, unzerbrechlich, unbesiegbar” aus dem Onlineshop der ukrainischen Post

Das charakteristische Theatergebäude, das Spielzeug und die Koffer auf der Briefmarke verweisen auf den russischen Bombenangriff auf das Theater in Mariupol und den Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk im Jahr 2022.

Der Kleidung nach zu urteilen, die Hunka auf der gefälschten Briefmarke trägt – eine traditionelle ukrainische Wyschewanka, die er unter seinem Jackett trägt – wurde das Bild auf der Marke während der Sitzung des kanadischen Parlaments aufgenommen, als sich der Vorfall ereignete, wie bei Sekunde 10 dieses Videos sehen ist (hier archiviert).

Screenshot von Facebook (links) eines polnischen Beitrags, aufgenommen von AFP am 9. Oktober 2023. Screenshot von Youtube (rechts) mit dem Vorfall im kanadischen Parlaments, ebenfalls aufgenommen am 9. Oktober 2023

Ukrainische Post hat die Briefmarke mit Hunka “nicht ausgeben”

AFP hat Ukrposhta wegen der angeblichen Briefmarke kontaktiert. Das Postamt antwortete in einer E-Mail am 5. Oktober 2023: “Ukrposhta hat keine Briefmarke mit dem Bild von Jaroslaw Hunka herausgegeben und hat nichts mit der Situation zu tun.”

AFP fragte auch in einem Postamt in Kiew nach. Am 4. Oktober 2023 besuchte ein AFP-Journalist ein zentrales Postamt in der ukrainischen Hauptstadt und fragte die Mitarbeiter, ob es jemals eine solche Briefmarke zu kaufen gegeben hätte. Ihnen wurde gesagt, dass eine Briefmarke mit Hunka nie von Ukrposhta verkauft wurde, da sie nie erschienen ist.

Ein Kreml-Narrativ zur Rechtfertigung des Krieges

Russland hat den Vorfall im kanadischen Parlament aufgegriffen. Es beschuldigt die ukrainische Führung, Neonazis zu beherbergen, obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Jude ist und Familienmitglieder im Holocaust verloren hat. Falsche Behauptungen, die das von Moskau gesteuerte Narrativ wiederholen, das die ukrainische Führung als “Nazis” darstellt, haben die sozialen Medien seit Beginn der russischen Invasion überschwemmt.

Zudem haben russische Ermittler gegen den ehemaligen SS-Soldaten Hunka Anklage wegen Völkermordes eingeleitet, wie am 20. Oktober mitgeteilt wurde. Das russische Untersuchungskomitee erklärte, man habe Hunka in Abwesenheit des “Völkermordes an der Zivilbevölkerung auf dem Gebiet der Ukrainischen SSR während des Großen Vaterländischen Krieges” angeklagt.

Nach dem Vorfall im kanadischen Parlament hatte auch der polnische Bildungsminister erklärt, er habe “Schritte” eingeleitet, um die Möglichkeit der Auslieferung von Jaroslaw Hunka zu prüfen.

SS-Division Galizien im Zweiten Weltkrieg

Klar ist, die SS-Division Galizien gab es wirklich. Sie wurde von den Deutschen im April 1943 in der besetzten Ukraine geschaffen, nachdem sie die Schlacht von Stalingrad verloren hatten. Wie die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) und andere Gruppen ist die SS-Division verantwortlich für Kriegsverbrechen an Juden und Polen.

Mehr als eine Million Jüdinnen und Juden wurden während des Krieges in der Ukraine, zumeist zwischen 1941 und 1942, von den deutschen Besatzern ermordet, oft mit der Unterstützung oder Beteiligung ukrainischer Kollaborateure.

Mehr als 100.000 Polinnen und Polen wurden 1943 beim Massaker von Wolhynien getötet, hauptsächlich durch Einheiten der UPA. Ein Teil des Massakers wurde von der Division Galizien verübt, wie etwa in Huta Pieniacka.

Zuvor war Ostgalizien, ein historischer Name für eine Region um Lemberg im Westen der Ukraine, in den Jahren 1939 bis 1941 durch die Sowjetunion besetzt. Die Ukrainer hofften, dass sie einen von Russland und Polen unabhängigen Staat gründen könnten und unterstützten die Deutschen nach deren Einmarsch im Kampf gegen Russland.

Mehrere Tausend ukrainische Freiwillige schlossen sich der Waffen-SS-Division Galizien aus verschiedenen Gründen an. Laut Lviv interactive, einem Projekt, das Geschichte und Architektur zusammenbringt, gab es dafür verschiedene Gründe, die von dem Wunsch, gegen die sowjetische Armee für eine unabhängige Ukraine zu kämpfen, bis zur Vermeidung von Zwangsarbeit in Deutschland reichten.

Die Erinnerung an die Kriegsjahre spaltet die öffentliche Meinung in der Ukraine tief, erklärt das Projekt: “Die allgemeine Diskussion über die Rolle der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs, über die Kollaboration und die Rolle der Waffen-SS-Division ‘Galizien’ in diesem Gebiet steht uns noch bevor. Außerhalb einer kleinen Gruppe von Historikern ruft die Frage der Wehrmachtssoldaten derzeit nur viele Emotionen, den Versuch, die eigene ‘Wahrheit’ zu verteidigen, eine Polarisierung der Ansichten und einen Krieg der Erinnerungen hervor.”

Fazit: Nachdem im kanadischen Parlament ein ehemaliger ukrainischer SS-Angehöriger geehrt wurde, tauchten im Netz angebliche ukrainische Briefmarken mit dessen Gesicht auf. Diese haben sich jedoch als Fälschung herausgestellt: Details auf der Marke entsprechen nicht den üblichen ukrainischen Briefmarken. Zudem hat das dortige Postbehörde bestätigt, dass eine solche Briefmarke nie gedruckt wurde.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.