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Vertrag über Selenskyjs Kauf der Goebbels-Villa nahe Berlin ist gefälscht

Vertrag über Selenskyjs Kauf der Goebbels-Villa nahe Berlin ist gefälscht - Featured image

Author(s): Johanna LEHN / AFP Deutschland

Nahe Berlin befindet sich die Villa Bogensee, in der einst Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zur Zeit des Dritten Reichs wohnte. In sozialen Medien wird nun die Behauptung verbreitet, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe die Villa im Oktober 2023 gekauft. Das ist jedoch erfunden. Der angebliche Kaufvertrag ist gefälscht, erklärte die Notarin, die ihn beurkundet haben soll. Das Grundstück sei der Berliner Senatsverwaltung zufolge zuletzt vor etwa zehn Jahren zum Kauf angeboten, aber nicht verkauft worden. 

“Selensky hat ein Haus gekauft, das dem Propagandaminister des Dritten Reiches gehörte”, heißt es in zahlreichen Beiträgen in sozialen Medien von Ende Dezember 2023 in sozialen Medien. Dazu werden Außenaufnahmen der Villa Bogensee geteilt, ebenso wie Fotos eines angeblichen Kaufvertrages über das Grundstück beim brandenburgischen Wandlitz nahe Berlin.

Die Behauptung wird vielfach auf Facebook und X geteilt. Auch auf Telegram findet sie sich in zahlreichen Kanälen, unter anderem im Kanal der pro-russischen Bloggerin Alina Lipp. Falschinformationen von ihr wurden in der Vergangenheit von AFP bereits widerlegt.

Einige der Beiträge teilen ein Video eines Accounts namens “Sabine Mels”. Mels beschreibt sich – auch auf anderen Kanälen – selbst als Antifa-Mitglied und erzählt eine Geschichte, die sie von ihrem “ehemaligen Kollegen bei der BIM” (Berliner Immobilienmanagement GmbH) gehört haben will. Die BIM ist eine Berliner Landestochter, die sich um öffentliche Liegenschaften in Landesbesitz kümmert. Das Video wurde am 24. Dezember 2023 auf Youtube hochgeladen und inzwischen über 14.000 Mal aufgerufen. Auch die russische Website “Komsomolskaya Pravda” veröffentlichte einen Artikel über den angeblichen Kauf.

Die Behauptung kursiert auch auf anderen Sprachen in sozialen Medien, darunter Ungarisch, Französisch, Bulgarisch oder auch Slowakisch und Polnisch.

Im Video erzählt die Frau mit nicht zuzuordnendem Akzent, ein ehemaliger Kollege habe ihr den Kaufvertrag für die Villa zukommen lassen. Nach kurzen Erläuterungen zur Geschichte der Immobilie erklärt sie, das Land Berlin versuche seit 20 Jahren, sie zu verkaufen. Schließlich wird der angebliche Kaufvertrag eingeblendet, der auf den 11. Oktober 2023 datiert ist und mit dem die BIM das Grundstück mit der Adresse Platz der Freundschaft 1A in Wandlitz an die Firma Film Heritage Inc. für 8,12 Millionen Euro verkauft habe. Besitzer von Film Heritage Inc. sei Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine.

Screenshots der Behauptung auf Facebook (links) und Telegram (rechts): 3. Januar 2024

Bei dem angeblichen Kauf handelt es sich jedoch um eine Falschbehauptung.

Angeblicher Kaufvertrag weist Fehler auf

Der Kaufvertrag für das Grundstück der Villa Bogensee ist allerdings eine Fälschung. Beurkundet haben soll den Verkauf eine Notarin namens Friederike Schulenburg. Zuerst erklärte sie gegenüber “t-online”, dass es sich um einen gefälschten Kaufvertrag handele. Auf Anfrage von AFP erklärte Schulenburg am 3. Januar 2024 in einem Telefongespräch, dass sie seit über zehn Jahren nicht mehr als Notarin tätig sei, da dieser Dienst nur bis zum 70. Lebensjahr ausgeübt werden dürfe, sie inzwischen aber über 80 Jahre alt sei. Diese Altersgrenze schreibt die Bundesnotarordnung vor. Demnach könne Schulenburg keinen Kaufvertrag am 11. Oktober 2023 beurkundet haben. Auch auf der Website der Rechtsanwaltskammer Berlin wird sie als Notarin außer Dienst geführt.

“Das ist eine total dümmliche Fälschung”, sagte Schulenburg. “Weder das äußere Bild noch der Inhalt passen.” So sei beispielsweise eine Schwärzung oben rechts auf der ersten Seite nicht üblich, auch “die Überschrift ‘Kaufvertrag’ ist völliger Blödsinn”. Auf dem sogenannten Vorblatt müsse “verhandelt” stehen, darunter der Name und die Anschrift des Notars oder der Notarin. “Hier steht nur ‘Amtssitz'”, erklärte sie. Auch dass auf dieser Seite die Verhandlungspartner genannt werden sei unüblich. Ebenso sei ihre Unterschrift nicht korrekt, da sie stets mit “Dr. Schulenburg” und nicht wie in dem gefälschten Dokument mit “F. Schulenburg” unterschreibe. Aufgrund der Urkundenfälschung habe sie “die Absicht, rechtliche Schritte einzuleiten”.

Screenshot des Kaufvertrags aus dem Youtube-Video, Hervorhebungen der angesprochenen Hinweise auf eine Fälschung durch AFP: 3. Januar 2023

Eine Verbindung zwischen der Firma Film Heritage Inc. und dem ukrainischen Präsidenten besteht hingegen tatsächlich: Die im Oktober 2021 veröffentlichten Pandora Papers über Steuervermeidung wohlhabender Persönlichkeiten belegen, dass Film Heritage Inc. Selenskyj gehörte und im Jahr 2019 seiner Frau Olena Selenska überschrieben wurde.

Villa Bogensee gehört dem Land Berlin 

Auch die BIM erklärte auf Anfrage von AFP in einer E-Mail vom 3. Januar 2024: “Es handelt sich um eine Falschmeldung.” Die BIM ist eine Berliner Landestochter und trägt unter anderem Sorge für die Bewirtschaftung öffentlicher Gebäude, die dem Land Berlin gehören. Eine Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung für Finanzen Berlin bestätigte in einer E-Mail vom 4. Januar 2024: “Das Objekt befindet sich im Eigentum des Landes Berlin.”

Das Gelände der Villa Bogensee hat eine wechselvolle Geschichte. Seit 1913 ist das Grundstück im Berliner Eigentum, ab 1936 diente es NS-Propagandaminister Goebbels auf Lebenszeit als zweiter Wohn- und Dienstsitz sowie als Veranstaltungsort, wie das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in einem digitalen Projekt zum Areal erläutert. Nachdem die Rote Armee es nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig als Lazarett nutzte, zog im März 1946 die kommunistische Freie Deutsche Jugend (FDJ) mit ihrer sogenannten “Zentralen Jugendleiterschule” in die als “Waldhof” bezeichnete Villa Bogensee. Ab den 1950er-Jahren wurden weitere Unterrichts- und Wohngebäude für die FDJ-Hochschule auf dem Grundstück erbaut, nach der Wiedervereinigung zog das Internationale Bildungszentrum des Internationalen Bundes für Sozialarbeit in eines der Gebäude. Seit 1999 stehen die Immobilien leer. 2021 flogen laut Medienberichten Pläne der Reichsbürger des “Königreichs Deutschland” auf, das Areal getarnt als Verein zu nutzen.

Zuletzt habe die BIM vor rund zehn Jahren versucht, das Grundstück zu verkaufen, erklärte BIM-Sprecherin Johanna Steinke. Das bestätigte auch die Senatsverwaltung. “Dies wurde durch ein aufwendiges Verfahren begleitet, welches allerdings nach einigen Jahren erfolglos beendet wurde”, erklärte Steinke. Es habe “keine tragfähigen Angebote” gegeben.

Heute sei die Berliner Liegenschaftspolitik eine andere. “Landeseigene Grundstücke werden schon seit vielen Jahren nicht mehr verkauft.” Im Falle des Grundstücks am Bogensee erklärte Steinke: “Wir sind im Austausch mit dem Bund, der Gemeinde Wandlitz und dem Land Brandenburg und sprechen gemeinsam über möglichen Entwicklungspotentiale für das gesamte Gelände.” Da es leer stehe und “stark sanierungsbedürftig sei”, sei das “ein langwieriger Prozess”.

Auch die Sprecherin der Senatsverwaltung bestätigt, dass “ein Verkauf des Areals oder einzelner Teile der Immobilie” nicht erfolgt sei. “Seit 2001 ist die Liegenschaft nutzungsfrei.” Gemäß Brandenburgischem Denkmalschutzgesetz sei die Liegenschaft zudem als Denkmal eingetragen.

Sabine Mels ist bei der BIM unbekannt

Zusätzlich zum Kaufvertrag widerlegt die BIM auch die Behauptung der Frau im Video, eine ehemalige Mitarbeiterin der BIM zu sein. “Wir hatten und haben auch keine Mitarbeiterin mit dem Namen Sabine Mels”, erklärte Steinke. “Der Name ist also ebenfalls erfunden.”

Angebliche Villen und Vermögen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj waren bereits häufiger Gegenstand von Falschinformationen seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. So hieß es beispielsweise fälschlich, er verdiene elf Millionen US-Dollar pro Monat und habe eine Villa in Florida. Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg sammelt AFP hier.

Fazit: Die Villa Bogensee, die zur Zeit des Nationalsozialismus Joseph Goebbels gehörte, befindet sich nach wie vor im Eigentum des Landes Berlin. Sowohl die Notarin, die auf dem gefälschten Kaufvertrag aufgeführt ist, als auch die BIM widerlegten die Falschmeldung über einen angeblichen Verkauf an die Firma Film Heritage Inc. Den letzten erfolglosen Versuch, das Grundstück zu verkaufen, habe die BIM vor rund zehn Jahren unternommen.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.