Hunderte User haben seit Anfang April verschiedene Blogartikel auf Facebook geteilt, wonach der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer durch Geimpfte auf Ungeimpfte übertragen werden könne. Das sollen offizielle Pfizer-Dokumente belegen. Ungeimpfte Frauen seien nach einer solchen Übertragung gefährdet, Fehlgeburten zu erleiden oder ihre Babys über die Muttermilch zu vergiften. Expertinnen und Experten erklären allerdings, dass eine solche Übertragung des Impfstoffs nicht möglich sei. Die vermeintliche Gefahr für schwangere Frauen sei nicht gegeben.
Hunderte User haben die Behauptung zur Übertragung von Impfstoffen auf Facebook verbreitet (hier, hier). Die Online-Blogs « Uncut News » und « Contra24 » veröffentlichten entsprechende Artikel zum Thema. Diese wurden auch tausendfach auf Telegram und hunderte Male auf Twitter angesehen. « Uncut News » entfernte den Artikel mittlerweile.
Die Behauptung: « Neue brisante Pfizer-Dokumente enthüllen, dass sogar der Hautkontakt mit geimpften Personen oder das Einatmen der von dieser Person ausgeatmeten Luft den experimentellen Covid-Impfstoff auf Ungeimpfte übertragen kann », heißt es zu einem online geteilten Blogartikel. Demnach könnten ungeimpfte Frauen bei Kontakt mit einer geimpften Frau oder Sex mit einem geimpften Mann verschiedene Nebenwirkungen erleiden. Dazu sollen Fehlgeburten, spontane Abtreibungen oder kognitive Störungen beim Kind gehören. Auch könne das Baby über die Muttermilch vergiftet werden.
Woher stammt die Behauptung?
Die deutschsprachigen Blog-Artikel verweisen als Ursprung ihrer Behauptungen auf einen identischen englischsprachigen Artikel, der am 4. Avril 2022 sowohl auf den Websites Anonymouswire und Newspunch veröffentlicht wurde.
In den Artikeln wird auf ein Dokument des Impfstoffherstellers Pfizer verwiesen, das als Grundlage der Behauptungen dienen soll. Tatsächlich ist das verlinkte Dokument aber weder « neu » noch « brisant ». Es handelt sich um ein Protokoll zu einer Sicherheitsstudie des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer. Das Dokument war bereits im Mai 2021 Grundlage ähnlicher Faktenchecks anderer Redaktionen (siehe hier, hier).
Was steht in den Pfizer-Dokumenten?
In dem Dokument existiert ab Seite 67 tatsächlich ein Abschnitt, der sich mit der Exposition von Schwangeren und stillenden Müttern mit dem Impfstoff beschäftigt, sowie mit « arbeitsbedingter Exposition ». Die online verbreiteten Blog-Artikel beziehen sich auf eben diesen Abschnitt.
Darin heißt es, Kontakt mit der sogenannten « study intervention », also dem zu untersuchenden Impfstoff, während der Schwangerschaft oder des Stillens solle innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnisnahme an Pfizer gemeldet werden. Dies gelte auch für arbeitsbedingte Exposition.
Weiter wird definiert, wann beispielsweise eine Exposition in der Schwangerschaft vorliegt. So liege unter anderem auch eine Exposition aus dem Umfeld vor, wenn « ein weibliches Familienmitglied oder eine medizinische Beschäftigte berichtet, schwanger zu sein, nachdem sie der ‘study intervention’ durch Einatmen oder Hautkontakt ausgesetzt war. » Ebenso liege eine Exposition vor, sollte ein Mann unter den selben Bedingungen mit dem Impfstoff in Kontakt gewesen sein und dann seine Partnerin « vor oder um den Zeitpunkt der Empfängnis » herum exponieren.
Die Definitionen dienen demnach als Grundlage für eine Meldung der Exposition an Pfizer. Bei Teilnehmerinnen der Studie würden dann auch Details zur Schwangerschaft bis zu sechs Monaten nach der letzten Verabreichung des Impfstoffs gesammelt. Bei Schwangeren, bei welchen beispielsweise nur über den Partner eine Exposition vorliegt, geschehe dies nicht. Gemeldet würde dies aber trotzdem.
Zur Beurteilung der Schwangerschaftsdaten heißt es weiter in dem Dokument: « Abnormale Schwangerschaftsergebnisse gelten als schwerwiegende Nebenwirkungen ». Ebenso wird erläutert in welchen Fällen diese vorliegen, beispielsweise bei nicht gewollten Schwangerschaftsabbrüchen.
Ähnliche Definitionen und Vorgaben zur Meldepflicht werden in dem Dokument auch zur Exposition beim Stillen und zur arbeitsbedingten Exposition genannt. All diese Passagen dienen allerdings dazu, zu definieren, in welchen Fällen eine Exposition mit dem Impfstoff an Pfizer gemeldet werden soll. In den Abschnitten werden weder bestätigte Nebenwirkungen gelistet, noch wird davon ausgegangen, der Impfstoff könne sich von Mensch zu Mensch übertragen. Das entsprechende Kapitel befasst sich lediglich mit dem Studienprozedere.
In der im Dezember 2020 veröffentlichten Auswertung der Pfizer-Studie heißt es zudem, die Inzidenz schwerwiegender unerwünschter Ereignisse sei gering gewesen und in der Impfstoff- sowie der Placebogruppe ähnlich beobachtet worden.
Keine Belege für Impfstoff-Shedding bei mRNA-Impfungen
Als Shedding bezeichnen Impf-Skeptiker die Vorstellung, Impfstoff könnte von Geimpften auf Ungeimpfte übertragen werden. Tatsächlich kann bei abgeschwächten Lebendimpfstoffen der Körper Teile des Impfstoffes wieder freisetzen. Dieses Shedding bedeutet allerdings noch nicht automatisch die Übertragung eines Erregers. Bei den Corona-Impfstoffen findet kein solches Shedding statt.
Die thematisierten Auszüge aus dem Pfizer-Dokument sind dementsprechend keine Belege für eine Übertragung des Impfstoffs auf Ungeimpfte. Auf AFP-Anfrage erklärte eine Sprecherin des Impfstoff-Herstellers Pfizer am 20. April, der Impfstoff gelange nur durch die verabreichte Dosis in den menschlichen Körper und könne nicht durch darauffolgenden Kontakt weiter übertragen werden.
Im Studienprotokoll seien zudem lediglich Maßnahmen zur Meldung eines möglichen Kontaktes mit dem Impfstoff während der Schwangerschaft an einen Gesundheitsdienstleister oder an die Unternehmen, die die Studie durchführen, festgelegt. “Die sekundäre Exposition ist in den meisten klinischen Studien zu Impfstoffen und potenziellen Therapien eine Standard-Protokollmaßnahme, ebenso wie die Forderung nach Abstinenz oder akzeptablen Verhütungsmethoden.”
AFP entkräftete Behauptungen zum Impfstoff-Shedding bereits im April 2021. Die vermeintliche Übertragung des Impfstoffs wurde damals auf die bei mRNA-Impfungen verwendeten Spike-Proteine zurückgeführt. Auch der Biontech-Impfstoff verwendet RNA-Schnipsel, um Muskelzellen im Körper, um die Produktion von solchen Spike-Proteinen anzuregen (mehr dazu hier). Diese werden dem Immunsystem des Körpers präsentiert, welches wiederum reagiert und Antikörper erzeugt.
In diesem Zusammenhang erklärte die Mikrobiologin Dasantila Golemi-Kotra von der Universität York im kanadischen Toronto in einer Mail: “Kein Spike-Protein wird losgelöst, wenn wir geimpft werden.” Selbst wenn sich diese Spikes lösen würden, könnten die Proteine niemanden infizieren.
“Proteine sind klebrige Moleküle und hoch instabil. Wenn diese verdaut werden, werden sie vom niedrigen pH-Gehalt im Magen und den dortigen Enzymen zerstört. Wenn sie an unserer Haut kleben oder in den Mund, Augen oder die Nase gelangen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie von den Enzymen abgebaut werden, die unsere Zellen in diesen Regionen absondern.”
Auch Barry Pakes, Assistenz-Professor an der Dalla Lana School of Public Health an der Universität Toronto, bestätigte das in einer E-Mail an AFP: “Es gibt absolut keine Beweise für die Abtragung von Spike-Proteinen bei Geimpften. Das ist auch theoretisch gar nicht möglich.”
Die US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) erklären zum angeblichen Shedding auf ihrer Webseite: “Shedding kann nur auftreten, wenn im Impfstoff eine abgeschwächte Version des Virus enthalten ist.” Bei dem Biontech-Impfstoff handelt es sich allerdings um einen mRNA-Impfstoff ohne eine solche abgeschwächte Version des Virus.
Eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) erklärte zudem auf AFP-Anfrage am 13. April 2022, es sei nicht möglich, dass der mRNA-Impfstoff durch Hautkontakt oder Atemluft auf Ungeimpfte übertragen werde.
“Es handelt sich um mRNA mit dem Bauplan für das Spikeprotein, die – verpackt in Lipidnanopartikel, um einen zu schnellen Abbau zu verhindern – in den Muskel gespritzt wird. Es ist ausgeschlossen, dass diese mRNA (oder auch die daraus gebildeten Spike-Proteine) von dort in die Haut oder in die ausgeatmete Luft gelangen.”
Kein bekanntes Risiko für Schwangere und stillende Mütter
Behauptungen zum EInfluss der Corona-Impfung auf Schwangere sowie Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit als mögliche Folgen hat AFP bereits mehrfach überprüft (siehe hier, hier, hier).
Christian Münz ist Fakultätsmitglied am Institut für Experimentelle Immunologie an der Universität Zürich. Er schrieb zur angeblichen Übertragung des Impfstoffs über die Muttermilch am 28. April 2021 in einer E-Mail an AFP: “Es ist unwahrscheinlich, dass Teile des mRNA-Impfstoffs, der intramuskulär verabreicht wird, in die Muttermilch gelangen.” Ein Wandern des RNA-Moleküls vom Muskel bis in die Muttermilch-Zellen sei für ihn “nahezu ausgeschlossen”.
Janine Zöllkau, Ärztin in der Geburtsklinik des Universitätsklinikums Jena, schrieb ebenfalls in einer E-Mail vom 3. Mai 2021 an AFP: “Die Folgerung, dass Babys nach Impfung der stillenden Mutter lebensbedrohlich gefährdet sind, ist nicht tragbar.”
Sie erklärte weiter: “Es ist aus meiner Sicht nicht plausibel, dass relevante Impfstoffmengen in der Muttermilch nach der Impfung vorliegen. Auch eine relevante Gefährdung des gestillten Säuglings durch potenziell oral aufgenommenen Impfstoff ist nicht plausibel.”
Das US-amerikanische Kollegium für Geburtshilfe und Gynäkologie hat zusammen mit anderen Organisationen von Gesundheitsexpertinnen und -experten am 9. August 2021 eine “Erklärung zum starken medizinischen Konsens für die Impfung von Schwangeren gegen Covid-19” abgegeben. Die Fachgesellschaft bestätigte auch, dass es sicher sei, nach der Impfung zu stillen.
Die US-Behörde CDC erklärt auf ihrer Website (Stand 3. März 2022), Corona-Impfungen seien auch für stillende Frauen empfohlen. Zudem gebe es Berichte, die zeigten, dass geimpfte Mütter in ihrer Muttermilch Antikörper enthalten, die auch zum Schutz des Babys beitragen könnten. Die Impfung sei sicher und wirksam für Schwangere. Weiter heißt es: “Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe, einschließlich Covid-19-Impfstoffe, bei Frauen oder Männern Fruchtbarkeitsprobleme verursachen.” Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Biontech-Impfung für stillende und schwangere Frauen.
Auf AFP-Anfrage erklärte “Uncut News”, einer der Blogs, die die Behauptungen verbreiteten, zunächst keine Stellungnahme abgeben zu können, da die Redaktion vorerst in einer digitalen Pause sei. Der Artikel wurde zunächst von der Seite genommen, bis er intern geprüft werden könne. “Contra 24” reagierte bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks nicht auf AFP-Anfrage.
Fazit: Das geteilte Pfizer-Dokument belegt keine Übertragung des Impfstoffs durch Hautkontakt oder Atemluft. Es handelt sich um ein Studienprotokoll, in dem geregelt ist, wann eine Exposition mit dem Impfstoff an den Hersteller gemeldet wird. Sowohl Pfizer als auch das Paul-Ehrlich-Institut dementierten die Übertragung des Impfstoffs über Luft oder Haut. Eine Gefahr für werdende und stillende Mütter durch den Impfstoff besteht laut Expertinnen und Experten nicht.